Auschwitz 29.10.2022

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Todesfuge, Paul Celan, zwischen 1944 und Anfang 1945

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland
dein goldenes Haar Margarete

er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne
er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith

wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus  Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus
Deutschland  
 
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith

Der Besuch im KZ Auschwitz hat mich noch lange danach beschäftigt und er beschäftigt mich noch immer und er wird es wohl auch immer tun. Ich verfasse diesen Beitrag rund zwei Jahre danach aber es gibt Erinnerungen, die nicht vergehen, es gibt Eindrücke, die sich nicht verflüchtigen. Ich kann mir gar nicht ausmalen, mit welch psychischer Last die wenigen Überlebenden durchs restliche Leben gehen mussten.

Es war für mich schon lange klar, daß ich den wohl schändlichsten Ort des nationalsozialistischen Regimes besuchen muß. Natürlich war ich in Mauthausen – ich muß Mitte 20 gewesen sein – und im Rahmen des Warschau Marathons 2018 besuchte ich Treblinka, 2019 dann Buchenwald. Es ist ohnehin erschreckend, wie viele Gedenkstätten man besuchen könnte…
Zuletzt hatte ich „Eichmann in Jerusalem – Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ von Hannah Arendt gelesen und die darin beschriebene unerträglich gewissenlose Gewissenhaftigkeit machte mich schaudern.
In Auschwitz jedoch, wohl dem Inbegriff eines deutschen Konzentrationslagers bzw. Auschwitz-Birkenau, dem Inbegriff eines deutschen Vernichtungslagers, war ich noch nicht und es wurde Zeit, das zu ändern.
Dazu kann ich im Nachhinein nur bestätigen: es im Fernseher oder auf dem Tablet oder dem Handybildschirm zu sehen ist etwas ganz anderes, als innerhalb der Mauern, der Umzäunung, des Staheldrahts zu sein. Es ist nicht vergleichbar damit, direkt vor den Objekten zu stehen, auf die ich noch näher eingehen werde.

Noch außerhalb von Auschwitz bei einer Umrundung des Stammlagers vor der Führung

An einem goldenen Oktobertag war es dann so weit und ich nahm an einer geführten Tour teil. So informativ und bewegend die Ausführungen auch waren, einmal noch – zumindest – möchte ich diesen Ort alleine erkunden und mir gebührend Zeit nehmen für manche Bereiche, für die während der Führung zu wenig Zeit gegeben werden konnte. Diese „Tour for individuals without an educator“ sind relativ limitiert und man sollte da ein paar Wochen bis Monate vorplanen. Der Besuch, egal ob geführt oder ungeführt, ist gratis.

Auschwitz Stammlager

Von Wiener Neustadt nach Oświęcim bin ich an die 5 Stunden mit dem Auto gefahren. Der Transport der Deportierten, welche eng gedrängt in Viehwaggons gestopft wurden, dauerte manchmal zwar auch nur einige Stunden (z.B. innerhalb Polens), meistens aber bis zu etliche Tage unter katastrophalen Bedingungen. Ich hatte es gemütlich in meinem Volvo V40 – die 60 bis 100 Menschen (oder mehr), welche in den rund 3×8 Meter messenden Waggons verladen waren, nicht. Wenn ich von 100 Menschen ausgehe, dann hatte jeder eine Fläche von ca. 50×50 Zentimeter zur Verfügung; sowie einen Kübel Wasser (anfangs) und einen Kübel als Toilette – für alle.

Bahngeleise zwischen KZ Auschwitz Stammlager und KZ Auschwitz-Birkenau

Auschwitz bestand aus drei Hauptlagern sowie etwa 50 Außenlagern. Das Besucherzentrum befindet sich bei Auschwitz I (Stammlager), es ist das ehemalige Häftlingsaufnahmegebäude und dort begann auch der erste Teil des Rundgangs. Das Stammlager war ursprünglich eine nicht mehr genutzte polnische Kaserne, die bestehenden Backsteingebäude wurden umgestaltet, aufgestockt und das Areal nach und nach (durch Zwangsarbeit) erweitert.

Auschwitz Stammlager

Bald schon gelangt man zu dem bekannten Lagereingang, der durch Erweiterungen später innerhalb des Lagers selbst lag, mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“. Interessantes Detail ist das auf dem Kopf stehende B. Das Tor musste der polnische Häftling Jan Liwacz schmieden bzw. war er maßgeblich daran beteiligt. Das verkehrte B wird als Protestaktion verstanden. Liwacz überlebte Auschwitz (ab 1940), Mauthausen und Ebensee.

Arbeit macht frei

Der Rundgang führt zwischen den Lagerbaracken und uns werden auszugsweise von all den Furchtbarkeiten berichtet, die hier stattgefunden haben. Wir sehen die doppelte Einzäunung aus Stacheldraht, einst unter Strom stehend; für manche Häftlinge ein letzter Ausweg in den freiwilligen Tod. Zwischen 150 und 300 Personen jedoch gelang tatsächlich die Flucht aus Auschwitz – was Repressalien, Bestrafungen sowie Exektionen an den Verbliebenden als Mahnung zur Folge hatte.

Doppelte Umzäunung

Wir werden durch Baracken geführt, in denen thematisch z.B. die Häftlingskleidung und die verschiedenen Arten der so genannten Winkel aufgearbeitet wird. Ich denke an meinen Sticker auf meiner Brust mit der Zuordnung zur deutschsprachingen Führung und denke mir, ob es nicht einen anderen Weg gegeben hätte, eine Kennzeichnung anzubringen.

Führung durch Auschwitz

Hier steht die Urne, gefüllt mir der Asche jener, die in den Krematorien eingeäschert wurden. Oder, da die Kapazität von ca. 4.500 Menschen pro Tag (!) während der „Ungarn-Aktion“ nicht ausreichte, aus den Verbrennungsgruben. Während des Betriebs wurde die Asche der Leichen in einen nahe gelegenen Fluß geschüttet oder verstreut. In Auschwitz gibt es keine Bodenfläche, auf der man nicht über die Asche verbrannter Häftlinge geht.

Urne, gefüllt mit menschlicher Asche

Wir kommen zu der Baracke, in der die Habseligkeiten ausgestellt sind… Ich wußte es damals noch nicht und ich konnte es nicht fragen aber mich beschlich das (korrekte) Gefühl: das sind ja nur die Brillen, die nicht schon vor der Befreiung verwertet wurden…

Brillen in Auschwitz

Eine Vitrine mit Prothesen und Gehhilfen und ich mußte an meinen (zwar Stief- aber dennoch) Großvater denken, dessen Prothese das hier hätte sein können. Nun, natürlich hinkt der Vergleich gewaltig, er war als kleiner Wehrmachtssoldat Kanonenfutter an der Ostfront und kam mit einem Bein weniger nach Hause. Wem auch immer diese Protese gehörte, ging wohl mit einem Bein weniger ins Gas…

Prothesen in Auschwitz

Die Juden aus den besetzten bzw. eroberten Gebiete mußten sich Zugfahrkarten kaufen – inklusive einer so genannten Rückfahrkarte… Die Deutsche Reichsbahn, welche allein zwischen 1941 und 1945 etwa drei Millionen Menschen mit Zügen deportierte, erhielt 4 Reichspfennig pro Person und Kilometer. Kinder unter 4 Jahren durften gratis fahren und ab 400 Personen gab es einen großzügigen Rabatt von 50%. Es gab eine detaillierte Packliste, die Koffer waren feinsäuberlich beschriftet.

Koffer in Auschwitrz

Ein riesiger Raum, geschoßhoch voller Geschirr: ein Leben brauner Topf, ein Leben blaue Kanne, ein Leben weißer Krug…

Geschirr in Auschwitz, ein Geschoß hoch gestapelt

Es gibt noch einen weiteren Raum, der neben der Urne mit menschlicher Asche etwas zeigt, das einst menschlich war: die Vitrine mit menschlichem Haar. Fotografieren verboten, natürlich zu respektieren. Die Menge an Haaren ist unbegreiflich: 2 Tonnen sollen es sein. Zwei Tonnen Haar. Zwei Tonnen!
Das Scheren des Kopfes war nicht nur der so genannten Hygiene geschuldet und weiters auch nicht nur der Entmenschlichung der Insassen: die Haare wurden zu Industriefilzen weiterverarbeitet, zu Garn versponnen und endeten mitunter an den Füßen von U-Bootbesatzungen.

Es gab Ausstellungsstücke, die ich nicht fotografiert habe, auch wenn es erlaubt gewesen wäre. Ich brachte es nicht zusammen, den Raum mit den Kinderschuhen zu fotografieren. Man muß nicht alles fotografieren, das es zu fotografieren gibt. Ich denke, daß ein Mensch allein in diesem Raum, wenn er nur einen Funken Gefühl und ein Quentchen Vorstellungskraft hat, verzweifeln kann. Erwachsenenschuhe gibt es auch genug, ca. 48.000 Paar um genau zu sein. Diese Menge ergibt einen enormen Berg an Schuhen. Und dennoch fehlen 1.052.000 Paar Schuhe, um auf die ca. 1,1 Millionen Menschen zu kommen, die hier (mindestens) ermordet wurden.

Schuhe in Auschwitz

Josef Mengele ist zum Synonym eines sadistischen Arztes geworden. Er war von Mai 1943 bis Januar 1945 Lagerarzt und ich will hier nicht auf Einzelheiten eingehen, ich will nur eine Episode einer Überlebenden wiedergeben, die uns dort ebenfalls geschildert wurde.
Ruth Elias, deren Geschichte man in ihren Memoiren „Die Hoffnung erhielt mich am Leben“ nachlesen kann, geht verkürzt wie folgt: Ruth schaffte es, ihre fortgeschrittene Schwangerschaft bei der Selektion durch Mengele selbst zu verbergen und wurde als arbeitsfähig eingestuft. Schwangere wären ansonsten sofort vergast worden. Es folgten Arbeitseinsätze im KZ Neuengamme, Berlin und KZ Ravensbrück. Mengele war erstaunt, die offensichtliche Schwangerschaft übersehen zu haben – und ließ Ruth im Krankenbau von Auschwitz entbinden. Was er nicht zuließ, war das Stillen des Babys. Er wollte wissen, wie lange ein Neugeborenes ohne Nahrung überleben kann. Mutter und Tochter in einem Raum. Die Mutter dazu verdammt ihr Kind verhungern und verdursten zu sehen. Und zu hören.
Am achten Tag, aus dem Schreien waren nur mehr undefinierbare Laute geworden, gab sich Mengele zufrieden und kündigte an, Mutter und Tochter sollen sich bereit machen, er werde sie am nächten Morgen „wegbringen“.
Was das bedeutete, war Ruth klar. Mit der Hilfe einer Krankenschwester verabreichte Ruth dem todgeweihten Säugling eine Morphiumspritze. Am nächsten Morgen wurde es mit den anderen Leichen abgeholt. Mengele: „Haben Sie ein Schwein gehabt, mit dem nächsten Transport gehen Sie weg!“
Ruth Elias starb 2008. Sie überlebte Auschwitz, sie überlebte den Krieg, sie überlebte ihr Erstgeborenes und sie überlebte Josef Mengele, der 1979 unter falscher Identität in Brasilien starb; unbehelligt.

Josef Mengeles Wirkungsstätte

Rudolf Höß war der erste und am längsten „dienende“ Kommandant von Auschwitz. Ähnlich wie der eingangs nur erwähnte Adolf Eichmann offenbar nicht personifiziertes Böses, sondern fleischgewordene Gehorsamkeit, Obrigkeitshörigkeit, Gewissenhaftigkeit, Pflichtbewusstsein.

„Aus ihren [Anm: den Beteiligten SS-Wachen] vertraulichen Gesprächen hörte ich immer und immer wieder die Frage heraus: Ist das notwendig, was wir da machen müssen? Ist das notwendig, daß Hunderttausende Frauen und Kinder vernichtet werden müssen? Und ich, der ich mir unzählige Male im tiefsten Innern selbst die Frage gestellt, mußte sie mit dem Führer-Befehl abspeisen, damit vertrösten. Mußte ihnen sagen, daß diese Vernichtung des Judentums notwendig sei, um Deutschland, um unsere Nachkommen für alle Zeit von den zähesten Widersachern zu befreien. Wohl stand für uns alle der Führer-Befehl unverrückbar fest, auch daß die SS ihn durchführen mußte. Doch in allen nagten Zweifel. Und ich selbst durfte auf keinen Fall meine gleichen Zweifel bekennen. Ich mußte mich, um die Beteiligten zum psychischen Durchhalten zu zwingen, felsenfest von der Notwendigkeit der Durchführung dieses grausam-harten Befehls überzeugt zeigen. […] Kalt und herzlos mußte ich scheinen, bei Vorgängen, die jedem noch menschlich Empfindenden das Herz im Leibe umdrehen ließen. Ich durfte mich noch nicht einmal abwenden, wenn allzumenschliche Regungen in mir hochstiegen. Mußte kalt zusehen, wie die Mütter mit den lachenden oder weinenden Kindern in die Gaskammern gingen. […].

Kommandant in Auschwitz – Autobiografische Aufzeichnungen des Rudolf Höß

Dies ist der Galgen, an dem Rudolf Höß am 16. April 1947 gehängt wurde – vor seiner Villa, mit Blick auf das Lager. Linker Hand geht es weiter: in die Gaskammer vom Stammlager.

Der Galgen, an dem Rudolf Höß gehängt wurde

Hier kommt ein gewisser Karl Fritzsch ins Spiel, Sohn eines Ofenbauers und späterer SS-Hauptsturmführer in der Funktion eines Schutzhaftlagerführers. Jener testete 1941, während der Abwesendheit des Lagerkommandanten Höß, erstmalig das Insektizid Zyklon B, welches eigentliche und auch überwiegend für Ungezieferbekämpfung benutzt wurde, an sowjetischen Kriegsgefangenen. Die Leichenhalle, durch welche uns auch der Rundgang führt, wurde zu einer Gaskammer umgebaut und so lange betrieben, bis die Gaskammern in Auschwitz-Birkenau, dem eigentlichen Vernichtungslager, einsatzbereit waren. 1944 wurde die zwischenzeitlich als Hinrichtungsstätte benutzte Kammer zu einem Luftschutzbunker umfunktioniert. Nach dem Krieg wurde die schändlichste Verwendung als Gaskammer anhand von Zeugenaussagen rekonstruiert und die Doppelmuffelöfen im Krematorium wieder aufgestellt.

Doppelmuffelofen in Auschwitz

Das war der verträglichere Teil der Führung. Wir fuhren mit dem Shuttlebus ins nahe gelegene Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Jeder kennt das Bild von Stanisław Mucha, welches den Lagereingang samt Eisenbahnschienen zeigt, Blech- und Emaillegeschirr liegt herum und alles ist mit ein wenig Schnee bedeckt. Mehr als 70 Jahre später stehe ich an der selben Stelle und uns wird der Vorgang der Selektion beschrieben.

Auschwitz-Birkenau: Blick von Innen auf den Lagereingang

Es wurden in Auschwitz in etwa 1,1 Millionen Menschen ermordet. In etwa 900.000 Menschen davon wurden direkt nach ihrer Ankunft in die Gaskammern geführt. Zu den 900.000 Menschen zählten ausnahmslos (*): Kinder. Alte. Kranke.
(*) Ausnahme: Zwillinge und Menschen mit Iris-Heterochromie (verschiedene Augenfarben). Diese wurden Josef Mengele zugeteilt damit dieser seine Experimente durchführen konnte, was so gut wie gleichbedeutend wie Tod war, nur mit voherigem Leid.

Auschwitz-Birkenau: Lagereingang von Außen

Die Fotos sind mit diesem Wissen schwer zu ertragen.
Es gibt eine Fotoserie, die das Auschwitz-Album genannt wird und heute von Yad Vashem, der israelischen Gedenkstätte des Holocausts und des Heldenmuts, aufbewahrt wird. Es sind Stelen zu sehen, auf den Bilder aus diesem Album zu sehen sind. Das Auschwitz-Album zeigt den gesamten Prozess: die Ankunft in überfüllten Viehwaggons. die Selektion an der Rampe, die Verwertung des Eigentums, der Weg zur Gaskammer.
Die Fotos sind mit diesem Wissen schwer zu ertragen. Dem Wissen nämlich, daß jedes einzelne Kind auf diesen Fotos in wenigen Stunden tot sein wird. So wie jedes Kind, das jemals nach Auschwitz-Birkenau kam. Jedes einzelne Kind.

Auschwitz-Birkenau: Gleisanlage

Es gibt weitere Fotos, heimlich aufgenommen von Menschen, die dem so genannten Sonderkommando zugeteilt waren. Hier möchte ich noch ein wenig ausholen, denn die Mitglieder des Sonderkommandos waren arbeitsfähig eingestufte Juden, die dazu eingesetzt wurden, die ankommenden Menschen zu begrüßen, zu beruhigen… und in die Gaskammern zu führen. Nach deren Tod mußten sie die Leichen nach Brauchbarem durchsuchen, die Goldzähne ziehen und die Haare scheren. Danach mußten sie die Leichen in die Krematorien bringen und verbrennen.
Eine besonders grauenhafte Aufgabe dürfte es gewesen sein, die Massengräber zu öffnen und die darin verscharrten Leichen in die Öfen zu verfrachten. Nach einer gewissen Zeit wurde das Sonderkommando erschossen und ein Neues geschaffen.
Mord durch Vergasung sowie Sonderkommandos wurden nicht nur aber auch ersonnen, um den SS-Leuten „das Leben erträglicher zu machen“. So war das ursprüngliche Erschießen einer ganzen Menge an Menschen unterm Strich nämlich ein psychisch sehr herausfordernder Teil der Tätigkeit. Ganz anders als das Einwerfen einer Zyklon-B Kapsel in einen geschlossenen Raum voller Menschen.

Auschwitz-Birkenau: Lagereingang

Jedenfalls, einer dieser Transportwaggons steht auf den Gleisen und uns wird geschildert, wie diese Zugfahrt so abgelaufen ist. Uns wird erklärt, daß etliche den Transport ohnehin nicht überlebten, daß sie erstickten, verdursteten, verhungerten. Uns wird erklärt, daß die Menschen in ihrem eigenen Dreck standen, neben und auf Leichen standen – nur um schlußendlich ohnehin zu sterben.
Was mir unerklärlich war in diesem Moment, das waren jene quicklebendigen Menschen vor Ort, die es für eine gute Idee hielten, sich just vor diesem Waggon fotografieren zu lassen, mit breitem Grinsen, mit Duckface oder mit einer sonstigen absurden Insta-Pose, was auch immer.

Auschwitz-Birkenau: Tronsportwaggon

Wir gehen weiter, links und rechts weite Ebenen mit vereinzelten Resten von Grundmauern und Kaminen, dort, wo einst die Baracken der Arbeitsfähigen und Kriegsgefangenen standen. Der Lagerbereich umfasste auf einer Fläche von knapp fünf Quadratkilometern in etwa 600 Baracken.

Auschwitz-Birkenau: Lager

Manche wenige Bauten blieben erhalten, manchen wurden restauriert und weiterhin denkmalpflegerisch konserviert. Jede Baracke war in etwa ausgelegt auf 500 Menschen, jedoch wurden bis zu 1.000 hineingepfercht. Keine Wärmedämmung, kein Boden, kein Wasser, nur zwei der Fenster waren öffenbar. Man schlief zu viert oder fünft auf einer Pritsche, wachte neben den Toten der letzten Nacht auf…

Auschwitz-Birkenau: Lager

Wir erreichen das Zentrum der Vernichtung. Vier Gaskammern mit angeschlossenem Krematorium, gesprengt von der SS beim Rückzug aufgrund des Vormarsches der russischen Armee, gab es zum Schluß in Birkenau. Es war eine Tötungsfabrik. Menschen kommen an, werden selektiert, gehen in die als Duschräume getarnten Gaskammern, werden mit Zyklon B umgebracht und im nächten Raum verbrannt. Nächster Zug.

Auschwitz-Birkenau: gesprengte Gaskammer/Krematorium


Es ist anzumerken, daß die Öfen in den Krematorien keine normalen Öfen waren, wie sie es zur Einäscherung mit dem Ziel einer Bestattung gewesen wären. Die Öfen waren nicht darauf ausgelegt, die Toten tatsächlich einzuäschern, sondern waren darauf ausgelegt sie schnellstmöglich und so viele wie möglich, auch gleichzeitig, zu verbrennen.
Das Unternehmen J. A. Topf & Söhne tat sich hier nicht nur als gewissenhafter Lieferant und Mitwisser hervor, sondern auch, ganz im Sinne der deutschen Ingenieurskunst, als Optimierer.
Am 4. November 1942 stellte das Unternehmen unter der Nummer T 58240 Kl. 24 beim Reichspatentamt Berlin den Antrag auf ein Patent eines Durchlaufofens für die Massenverbrennung von Leichen. Der Patentanmeldung ist zu entnehmen, dass zumindest der zuständige Ingenieur Fritz Sander über den Verwendungszweck, nämlich der massenhaften Verbrennung der Leichen von Lagerinsassen, Bescheid wusste. 

Auschwitz-Birkenau: gesprengte Gaskammer/Krematorium

Der Rundgang neigt sich dem Ende zu, jeder von uns hat unendlich viele Fragen, aber niemand hat eine Antwort darauf, daher bleiben die Meisten stumm.

Auschwitz-Birkenau: Wachtum

Ein Frau bedankt sich bei unserem Guide und bricht daraufhin in Tränen aus. Ich blicke in die Runde und sehe Betroffenheit, Trauer, Verständnislosigkeit ob dem Unbegreiflichen, das hier passiert ist.

Dieser Ort sei allezeit ein aufschrei der Verzweiflung und Mahnung an die Menschheit.

Ich habe diesen Artikel, wie eingangs erwähnt, rund zwei Jahre nach meinem Besuch verfasst. Dieser Absatz zum Beipiel entstand am 08.08.2024. Es ist eine Zeit, in der Europas rechte Parteien an Stärke gewinnen, Zulauf bekommen, wählbarer werden. Die FPÖ steht aktuell bei rund 30 Prozent Stimmanteil bei der im Herbst stattfindenden Nationalratswahl. Bei der EU-Wahl fanden es rund 25 Prozent der Wähler (Wahlbeteiligung ca. 56%) wünschenswert, von der FPÖ im EU-Parlament vertreten zu werden. Die FPÖ, das ist jene Partei die derzeit aufrüstet, mit Worten aufrüstet.

Herbert Kickl forderte zu seiner ruhmlosen Zeit als Innenminister 2018, Flüchtlinge konzentriert unterbringen zu wollen. Die Wortwahl fiel nicht auf gesammelt oder gemeinsam oder gebündelt, nein, das Wort mußte unbedingt konzentriert sein.
Eine von Herbert Kickls erster öffentlich wahrnehmbarer Handlungen als besagter Innenminister war es, Erstaufnahmezentren für Asylwerber in Ausreisezentren umzubenennen.
„Für die Zukunft darf ich Ihnen versprechen, daß ein freiheitlicher, vom Volk getragener Bundeskanzler und ein freiheitlicher Präsident des Nationalrates die Interessen all jener Österreicher vertreten wird, die die rot-weiß-roten Werte einer christlich-abendländischen Kultur leben und sich nicht an den bunten Irrlichtern des internationalen Zeitgeistes orientieren.“ Herbert Kickl in einem offenen Brief am 15.06.2023
„Wenn ich als rechtsextrem beschimpft werde, dann trage ich diese Beschimpfung wie einen Orden.“ meinte Herbert Kickl in seiner Rede beim Neujahrstreffen 2024.
Herbert Kickl will „Volkskanzler“ werden.

Es ist keine leichte Zeit, das gebe ich zu. Gestern wurde in Wien die Taylor Swift Konzertreihe abgesagt aufgrund einer unmittelbaren Bedrohung durch IS-Anhänger. Es ist noch immer die Zeit der so genannten Flüchtlingskrise. Es ist eine Zeit, in der man gefühlt wöchentlich über Messerstechereien, begangen von zumeist Asylwerbern, liest.
Nein, das ist definitiv nicht das, was ich under dem europäischen Gedanken verstehe.
Nein, das ist definitiv auch nicht das, wofür die Genfer Flüchtlingskonvention erdacht wurde.
Nein, das ist definitiv auch nicht das, was die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte schützen möchte.

Die Sprache wird zunehmend vergiftet und hier darf und muß man einen mahnenden Vergleich ziehen zu Damals. Zu einem Damals, als durch Propaganda „die Juden“ nach und nach entmenschlicht und Ungeziefer quasi gleichgestellt wurden – und schlußendlich auch als solche mit Insektizid im industriellen Maßstab ermordert wurden.
Einen mahnenden Vergleich ziehen zu einem Heute, wo durch Propaganda „die Asylanten“ vergewaltigenden, mordenden Schmarotzern gleichgestellt werden.
Nein, natürlich kommen nicht alle Asylwerber mit den besten Absichten. Je nach Nachrichtenlage und Kriminalitätsstatistik bin auch ich geneigt zu sagen, daß sogar relativ viele Asylwerber nicht mit guten Absichten kommen.
Es wird nach „Asylstopp“ gerufen, es werden Menschenrechte in Zweifel gestellt: „Denn der Begriff Menschenrechte ist mittlerweile schwammig. Was ist denn überhaupt ein Menschenrecht? Das müsste man einmal klären. Ich unterscheide zwischen Staatsbürger und Nichtstaatsbürger.“ – Udo Landbauer, FPÖ. Es wird offen Remigration gefordert.

Ich finde es erschreckend, welche zutiefst negative Aufladung das Wort „Asylant“ alleine in den letzten Jahren erfahren hat. Und es ist erschreckend, ein klischeehaftes Bild davon im Kopf zu haben. Ich wünsche mir eine Abrüstung der Worte und eine strenge aber konstruktive Politik. Weiters wünsche ich mir eine Politik und eine Diskussion, in der man bitte endlich wieder unterscheidet zwischen einem Asylwerber, einem Flüchtling und einem Migranten. Ich wünsche hiermit Niemadem, ein Asylwerber werden zu müssen (Schutz vor politischer, religiöser oder sonstiger Verfolgung), ein Flüchtling werden zu müssen (Menschen, die zur Flucht gezwungen sind) oder emmigrieren zu müssen oder zu wollen, weil es im eigenen Land keine wirtschaftliche Perspektive mehr zu geben scheint.

Mein Zugang ist: Österreich ist ein Rechtsstaat und hat sich daher an rechtsstaatliche Verpflichtungen zu halten. Österreich kann zu einem strengeren Rechtsstaat werden als es jetzt der Fall zu sein scheint, meinetwegen – ich befürworte das in Bezug auf Kriminalität und Terrorismus und Fanatismus sogar. Aber ein Mensch ist ein Mensch und ein Menschenrecht ist eines jedes Menschen Recht.
Aber, all meine Gedankengänge zu diesem Thema hier an dieser Stelle in Worte zu fassen würden Rahmen sprengen und den Zweck mißbrauchen. Frei nach Fred Sinowatz ohne politischem Hintergedanken: „Es ist alles sehr kompliziert.“

Belassen wir es also damit, daß ich persönlich, für mich, niemals in die Verlegenheit kommen will, behaupten zu müssen: davon habe ich nichts gewußt. Denn ich weiß, wohin Propaganda führen kann und dorthin möchte ich mich nicht verführen lassen. Ich möchte nie sagen müssen: das ging mich nichts an, denn es geht mich etwas an. Es geht jedem einzelnen Menschen etwas an.
Die Hauptkriegsverbrecher, sofern man derer habhaft werden konnte, wurden wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt und verurteilt. Menschlichkeit, das ist das, das uns Menschen ausmacht oder zumindest ausmachen sollte.

Seien wir also menschlich in einem positiven Sinn, auch wenn die hier in Auschwitz allgegenwärtige Dunkelheit ein Teil des menschlichen Charakters zu sein scheint. Leuchten wir die Dunkelheit aus, leuchten wir das Dunkle an und vertreiben wir es, damit wie NIE WIEDER eine weitere Gedenkstätte wie Auschwitz brauchen.