Rom 2023 – Tag 2

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Am zweiten Tag unseres Aufenthalts machten wir uns frühmorgens, wobei die Italiener und ich unterschiedliche Auffassungen von früh haben, auf in die Vatikanstadt.

Die Wartezeiten waren Dank unseres Reisetermins im Februar kurz und schon bald stiegen wir die engen Stufen in Michaelangelos doppelschaliger Kuppel hinauf zum Umgang, wo sichtbar wird, daß die von unten sichtbaren Gemälde eigentlich Mosaike sind. Rund 550 Stufen sind es bis zur Laterne mit wunderbarem Ausblick über die vatikanischen Gärten, den Petersplatz mit den Kollonaden Gian Lorenzo Berninis und sowieso: Rom. Erfreulich für mich war, daß die Dachterrasse, die ich bei meinem letzten Aufenthalt nicht besuchen konnte, heute zugänglich war. Von dort aus kann man nochmals die erstaunlichen Ausmaße des größten freitragenden Ziegelbauwerks der Welt bestaunen.

Aber ich werde jetzt keine Buchstaben mehr für die Huldigung architektonischer Meisterleistungen verwenden, die Architektur spricht für sich. Berninis Baldachin, Michaelangelos Pietà, Kunstwerke an jeder Ecke und in jeder Nische.

Was mich vor, während und nach diesem Aufenthalt mehr beschäftigt hat, war die Frage: „Was, wenn all das Geld, all die Hingabe und all die Kunst nicht für den Glauben sondern für die Wissenschaft verwendet worden wäre?“ Eine, wie ich finde, berechtigte Frage, wenn man sich all die prunkvollen Gegenstände ansieht, die alleine in dem kleinen Museum der Schatzkammer zu sehen sind – von den Vatikanischen Museen gar nicht erst zu reden.

Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr hindurchgeht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes hineinkommt.

Mk 10,25parr

Wo also wären wir, hätten große Denker ihren Geist nicht Jahrhunderte lang darauf verwendet, über Glauben nachzudenken um so absurde Konstrukte wie die Heilige Dreifaltigkeit zu erschaffen, sondern über Naturwissenschaft zu sinnieren? Hätten nicht auch Universitäten einen Bernini beauftragen können, mit einem Modell des Sonnensystems anstelle eines Baldachins vielleicht? Könnte man sich einen Borromini nicht als grandiosen Architekten im Schul- oder Wohnbau vorstellen? Hätte sich Martin Luther nicht genausogut in der Rechtswissenschaft einen Namen machen können? Ich kann diese Fragen nur stellen und eine Antwort darauf nur erahnen.

Meine mir Liebste fragte mich, warum ich mich als überzeugter Atheist eigentlich soviel für christliche Mythologie interessiere. Das ist eine gute Frage. Ich denke, ich mag gute Geschichten, so wie viele Menschen. Und die christliche Mythologie ist voll von, mal mehr, mal weniger guten Geschichten. Siehe dazu die Geschichte der Agnes von Rom vom gestrigen Artikel. Angemerkt sei: ich interessiere mich ja nicht nur für christliche Mythologie, es ist nur so, daß diese in Mitteleuropa unausweichlich ist. Unlängst war ich mit der mir Liebsten und der mir Liebsten Mutter der mir Liebsten in der nahegelegenen Bezirkshauptstadt Waidhofen an der Thaya im Waldviertel. Und siehe: selbst die Pfarrkirche von Waidhofen an der Thaya mit sagenhaften 5.219 Einwohnern (Stand 1. Jänner 2023) hat ein eigenes kleines Stück vom Kreuz Christi!

Es ist die Zeit, in der – nennen wir sie – traditionelle politische Kräfte wieder stärker werden. Die Rufe nach dem „christlichen Abendland“ werden wieder lauter. Selten so gelacht. Petrus, auf dessen mutmasslichem Grab das Zentrum des Petersdoms und somit der Heiligen katholischen Kirche errichtet wurde, war gewissermaßen Immigrant. Das Zentrum des Christentums ist Galiläa. Jesus wurde in Bethlehem geboren und starb in Jerusalem, so man der heiligen Schrift Glauben schenkt. Petrus kam also aus dem vorderen Orient nach Rom, falls überhaupt. Jesus war mit Sicherheit kein blonder, weißer Mitteleuropäer, sondern sah vielmehr aus wie jene Menschen, die man heute auf abschätzigste Art und Weise Asylanten und Flüchtlinge nennt; und so auch Petrus, erster Bischof Roms. Das christliche Abendland, nun für mich ist das all das Klimbim, all das Gold, all die Edelsteine, die feinen Gewänder, der Ablasshandel und all die absurden Regeln. Jesus Christus, so man sich schon auf ihn beziehen will, hingegen war ein jüdischer Wanderprediger, der gegen all das aufstand und verabscheute, siehe die Geschichte der Tempelverwüstung, siehe das Evangelium des Matthäus:

5 Wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler. Sie stellen sich beim Gebet gern in die Synagogen und an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten.
6 Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.

Matthäus 6:5-6

Und so empfinde ich es als absurden Treppenwitz der Geschichte, daß selbsternannte Traditionalisten sich auf das Christentum berufen, wenn es gegen Menschen aus dem Orient geht. Nun ist natürlich nicht alles gut, das aus dem Orient kommt. Wir bedanken uns für die Null, die in diesem Kontext Null Verständnis für muslimische Attentäter symbolisieren soll. Eine weitere abrahamitische Religion des alttestamentarischen Rachegottes, der ganze Städte, ja sogar die ganze Welt, auslöscht weil nur sein Wille geschehe. Null Verständnis, nur um es klarzustellen, auch für christliche Fundamentalisten und für jüdische Terroristen. Eines möchte ich in diesem Zusammenhang noch festhalten. Wenn wir uns schon auf die althergebrachte religiöse Traditionen besinnen wollen: ich wäre für die keltische Gottheit Ogmios. Mit einem kahlköpfigen alten Mann, mit Bogen und Keule bewaffnet, kann ich mich ganz gut identifizieren.

Aber kommen wir zurück auf den eigentlichen Sinn und Zweck dieses Artikels: Rom. Wir besuchten noch die Vatikanische Grotte (Fotografieren verboten), also die Begräbnisstätte der Päpste mit möglichem Blick aufs vermeintliche Petrusgrab bzw. eigentlich nur dem Überbau dazu. Das vermutete Grab von Petrus liegt wiederum in der Vatikanischen Nekropole, einer römischen Begräbnisstätte unterhalb der Grotten. 324 wurde über diesem Grab die erste Basilika errichtet, die Nekropole wurde dazu verschüttet und ist erst in den 1940er Jahren durch Ausgrabungen wieder zugänglich gemacht worden. Man kann die Nekropole besuchen, muß dazu allerdings lange vorplanen, denn nur ca. 250 Besucher pro Tag sind zugelassen. Daher bleibt der Besuch weiter auf meiner Liste von Orten, die ich in Rom noch sehen muß.

Nach dem Vatikan haben wir uns zu einem vermeintlichen Lost Place aufgemacht: eine stillgelegte Bahntrasse, welche einst in den Vatikan geführt hat und heute Passeggiata del Gelsomino genannt wird. Nun, es ist leider eine weniger sehenswürdige Keit.

Wir schlenderten durch die Gassen bis zur Spanischen Treppe und amüsierten uns verwundert über die irrwitzigen Verrenkungen der Sielfiesten und Instamodels.

Direkt neben der Kirche Trinità dei Monti, die oberhalb der Treppenanlage thront, sollte ich nun endlich, bei meinem dritten Romaufenthalt, ein Objekt meiner Begierde in frisch renoviertem Zustand bestaunen können: die monströse Fassade des Palazzo Zuccari. Heute befindet sich in diesem Gebäude die Bibliotheca Hertziana, eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

Wir streunten weiter herum, die berühmten Einkaufsstraßen am Fuße der spanischen Treppe hinauf und wieder hinunter, um dann von der Piazza del Popolo zum Villa Borghese zu gelangen. Anm.: Es ist für mich als Deutschsprechler immer wieder schwierig mein Gehirn mit der Information zu befüllen, daß in Italien eine Villa ein Park ist, also echt jetzt.

Der Tipp ist vielleicht nicht ganz geheim, aber ich würde jedem Romreisenden raten, sich abends auf der Terrazza del Pincio einzufinden. Es gibt günstigen Kaffee und Snacks von einem kleinen Stand wenn man will, einen wunderbaren Sonnenuntergangsblick Richtung Vatikan, Straßenkünstler sowie Sänger und wenn man Glück hat: Hochzeitsgesellschaften. Unvergessen wird uns der Anblick der reichlichst geschmückten und bemalten, jedoch in Tränen aufgelösten Braut bleiben, die eine Heerschar an Trost spendenden Brautjungfern hinter sich herzog, hinter denen wiederum ein sichtlich entnervter Ehemann nacheilte und hinter dem wiederum der mutmaßliche Brautvater, völlig entspannt, der unsere offen stehenden Münder mit dem staubtrockenen Spruch „Happy family!“ kommentierte.