KZ Dachau 2023
9. Dezember 2023. Ich begehe den 43. Jahrestag meines Geburtstags. In Dachau. Genauer: Im ehemaligen Konzentrationslager Dachau, amtliche Abkürzung KL Dachau, bekannter als KZ Dachau. Bekannt für „Arbeit macht frei“, bekannt für Unmenschlichkeit.

Warum? Weil es mir wichtig ist. Ich bin nicht gläubig, weder Jude, weder Christ (außer unter Anwendung des Kirchenrechts in Bezug auf Taufe, aber da war ich wehrlos, Herrgott!), weder ein Homosexueller, noch ein Zigeuner. Ich bin Mensch. Und als Mensch ist es mir wichtig, diese Orte zu besuchen. Und als Mensch ist es mir wichtig, darüber zu schreiben.

Ich möchte eingangs erwähnen, und die Erfahrung habe ich auch und insbesondere in Auschwitz gemacht: niemals werde ich verstehen können oder auch nur einen Funken Verständnis aufbringen können für jene Menschen, die Selfies mit [breitem Grinsen] [Duckface] [Thumbs up] oder Ähnlichem vor dem Lagereingangstor in Dachau oder vor dem Zugwaggon in Auschwitz machen. Niemals. Lasst das! Diese Orte sind unauslöschbare dunkelschwarze schändliche Schmutzflecken auf den ohnehin schon dreckigen Hemden der Menschheit.

Vom 22. März 1933 bis zum 29. April 1945 bestehend, war es das erste nationalsozialistische Konzentrationslager und Blaupause für alle anderen Stätten des Grauens. Es vergingen nur wenige Wochen zwischen Adolf Hitlers Machtübernahme und der Inbetriebnahme des Lagers, das zuallererst der Inhaftierung von politischen Gegnern und Andersdenkenden diente.

Verkürzte Zeitlinie:
6. November 1932: NSDAP erhält 33,1 Prozent der Wählerstimmen
30. Januar 1933: Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg
5. März 1933: NSDAP erhält 43,9 Prozent der Wählerstimmen
22. März 1933: Konzentrationslager Dachau wird in Betrieb genommen
12. April 1933: die ersten Morde finden statt
So schnell kann es gehen. Frei nach Norbert Hofer (FPÖ): wir werden uns noch wundern, was alles möglich ist.

Das KL Dachau war jedoch kein Vernichtungslager. Es war kein Auschwitz, kein Treblinka, kein Sobibor. Es wurden dort keine 1.100.000 Menschen umgebracht, es wurden dort keine 700.000 Menschen umgebracht, es wurden dort keine 250.000 Menschen umgebracht. Es wurden „nur“ ca. 41.500 Menschen umgebracht, also durchschnittlich 3.333 Menschen pro Jahr. Es diente zuallererst der Inhaftierung und Einschüchterung politischer Gegner: Politiker und Abgeordnete aller Parteien, Journalisten und Verleger, Unternehmer und Juristen, Offiziere, Schriftsteller, Schauspieler und Künstler, Musiker, Komponisten und Geistliche der verschiedenen Konfessionen.

Hinweis: Folgende Zitate sind dem Wikipedia-Eintrag zum KZ Dachau entnommen.
„Das Lager war der erste Ort im Deutschen Reich, an dem einem SS-Lagerkommandanten die alleinige Gerichtsbarkeit zugeteilt wurde und geltendes Recht erfolgreich außer Kraft gesetzt wurde.“
„Im September wurde mit den Nürnberger Rassengesetzen eine Rechtsgrundlage zur Verfolgung und Inhaftierung jüdischer Bürger erschaffen.“
„Denn ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht.“ Herbert Kickl (FPÖ) im Jänner 2019

Nun, jetzt werde ich politisch, man möge mir verzeihen. Es gibt viele Beispiele bedenklicher Aussagen rechter Politiker, die Erinnerungen wecken. Aber als ich in Dachau stand und mir die Geschichte vom Aufstieg und der Nährboden des Nationalsozialismus in verkürzter Form auf Schautafeln präsentiert wurde, musste ich mich, leider, in meiner Meinung bestärkt fühlen, daß es wieder so weit kommen könnte. Die Ähnlichkeiten sind zu augenscheinlich. Inflation, Arbeitslosigkeit und Feindbilder: tausche Jude gegen Asylant, tausche Bolschewismus gegen Grüne…

Natürlich, wider besseren Wissens, wurden weder durch die NSDAP noch durch aktuelle Fraktionen angeküdigt: „Wir haben vor, die [Juden] [Zigeuner] [Asylanten] [Moslems] [Syrer] [Homosexuelle] [Beliebig] zuerst in Lager zu stecken und dann systematisch zu ermorden.“ Nun ja, ausgenommen vielleicht durch das ach so tolle Wortspiel eines gewissen Herbert Kickl, der vorgeschlagen hat, Asylwerber künftig konzentriert unterbringen zu wollen. Ausgenommen vielleicht der mutmaßliche Versuch, den Zynismus von „Arbeit macht frei“ zu imitieren, indem man die Aufnahmestellen von Asylwerbern in „Ausreisezentrum“ umbenennt. Nein, ich werde mich nicht wundern, was alles möglich ist. (frei nach Norbert Hofer) Ich weiß, was möglich ist, und ich will nicht, daß es wieder so weit kommt und ich will auch kein Teil davon sein.

Exkurs: Der Saujud. Den Begriff der Judensau gab es schon lange vor der systematischen Verwendung durch die NSDAP. Sprache als Waffe noch viel länger und ich mache mir über die Sprache, die der Nährboden ist für Taten, die der Dünger ist für Meinungen, sehr viele Sorgen und Gedanken. Zwei Beispiele:
Der Gutmensch. Zumeist abwertend verwendet verachte ich diesen Begriff in benutzem Kontext zutiefst. Der gute Mensch als lächerlicher, dummer, fehlgeleiteter Vollidiot.
Der Asylant. Schutzsuchende vor politischer, religiöser oder sonstiger Verfolgung werden im im rechten politischen Geschrei gleichbedeutend gemacht mit illegalen und kriminellen Einwanderern.
Wenn die Sprache erst vergiftet ist, und sie wird immer extremer, die Grenzen des ungestraft sagbaren werden immer weiter verschoben; wenn also erst die Sprache vergiftet ist, ist auch der Geist vergiftet.

Es war ein kalter, neblig-regnerischer Dezembertag, als ich vor dem Jourhaus stand und durch das Lagereingangstor mit der berüchtigten Aufschrift „Arbeit macht frei“ schritt. Aber, um ehrlich zu sein: viel Originales ist in Dachau nicht mehr zu sehen. Nachdem 2014 sogar eben jenes Tor gestohlen (und später wieder gefunden) wurde, ist auch das eine Kopie, das Originale ist konserviert und ausgestellt. Es gibt Nachbauten von zwei Baracken und im ehemaligen Wirtschaftsgebäude mit angeschlossenem Schubraum und Häftlingsbad befindet sich die Ausstellung.

Der Krematoriumsbereich mit Gaskammer, eigentlich zentralster Ort des Gedenkens, war zum Zeitpunkt meines Besuchs leider aufgrund von Unwetterschäden geschlossen, ebenso der Kräutergarten.
Es gibt zudem etliche Gedenkstätten auf dem ehemaligen Lagerbereich, wie zum Beispiel die Todesangt-Christi-Kapelle oder die russisch-orthodoxe Kapelle.

Ich folgte einmal den Rundweg, dem Stacheldrahtzaun entlang, vorbei an den Wachtürmen und den Gräben bevor ich die Ausstellung besuchte, versuchte die Atmosphäre wirken zu lassen und der Nebel wirkte wie ein kalter, omnipräsenter Geist der Vergangenheit. Alles in Allem nahm ich hier nicht das Grauen wahr und mit, wie es einem in Auschwitz oder Treblinka beschleicht, umklammert und nicht mehr loslässt. Vielmehr nahm ich, wie eingangs erwähnt, eine Warnung wahr und mit. Eine Warnung, die besagt: sei wachsam ob der Anfänge. Sei wachsam und lasse dich nicht von den Rattenfängern (ver-) führen. Traue nicht Jenen, die die Schuld den Anderen geben. Traue nicht Jenen, die dir ein Mehr versprechen weil sie den Anderen ein Weniger geben wollen. Traue nicht Jenen mit den einfachen Lösungen, denn es gibt keine einfachen Lösungen.

Zum Abschluß möchte noch ein paar Passagen aus Wikipeadia zitieren:
„Ab Oktober 1941 wurden tausende sowjetische Kriegsgefangene ins Lager deportiert. Die SS erschoss im Hof des Bunkers bzw. später auf dem SS-Übungsschießplatz in Hebertshausen insgesamt mehr als 4000 sowjetische Kriegsgefangene.“
“ Nach dem Befehl Himmlers vom 5. Oktober 1942, die in Deutschland liegenden Konzentrationslager judenfrei zu machen, deportierte die SS alle jüdischen Häftlinge Dachaus in das KZ Auschwitz.“
„Vom 1. Januar bis zum 15. März 1943 stand das gesamte Lager wegen einer Typhus-Epidemie unter Quarantäne. In dieser Zeit lebten die Häftlinge im Häftlingsbereich, SS-Leute betraten ihn nicht. Die Häftlinge durften ruhen, gelegentlich durfte musiziert werden, auch Gedichte entstanden. Die Lagerbibliothek hatte sich vergrößert, da nun auch Bücher in Paketsendungen eintrafen. Die kulturellen Aktivitäten überdauerten die Zeit der Quarantäne in eingeschränktem Ausmaß. Gleichzeitig wurden in diesen Monaten etwa 800 bis 1000 Insassen wegen „Sabotage“ hingerichtet.“
Mathematik: ca. 1000 Tote in ca. 100 Tagen macht ca. 10 Tote pro Tag.
„Seit Jahresbeginn 1945 bis in den April hinein trafen Evakuierungstransporte aus bereits geräumten Lagern ein. Auch um ihre Arbeitskraft weiter nutzen zu können, wurden die Gefangenen auf lange und verlustreiche Transporte in den Westen des Reiches geschickt. Ebenso traf Lagerpersonal ein, im Januar 1945 beispielsweise der später freigesprochene SS-Arzt Hans Münch. Die Überfüllung des Lagers beschleunigte die Typhusepidemie: Die Sterblichkeit lag im Januar bei 2903 Toten und stieg die folgenden Monate an.2
Mathematik: ca. 2900 Tote in ca. 30 Tagen macht ca. 100 Tote pro Tag.

„Am 29. April 1945, marschierte die US-Armee zur Befreiung des Hauptlagers ein. Sie traf völlig unvorbereitet auf den Todeszug aus Buchenwald, der neben dem Häftlingslager auf dem SS-Gelände stand und in dessen Waggons etwa 2300 Leichen lagen.
Nach diesem schockierenden Eindruck kam es zu spontaner Selbstjustiz. Die US-Soldaten exekutierten SS-Männer. Die Erschießungen, welche zur Befreiung des Lagers nicht notwendig waren – die Männer der Waffen-SS hatten kaum Widerstand geleistet – wurden später in rechtsextremen Kreisen zur Aufrechnung propagandistisch aufgenommen, das Ereignis selbst als sogenanntes „Dachau-Massaker“ verbreitet.“
„Gegen Jahresende 1945 fand der Dachau-Hauptprozess im Rahmen der Dachauer Prozesse statt; 36 der 40 Angeklagten wurden zum Tod durch den Strang verurteilt. Im Mai 1946 wurden 28 der 36 Todesurteile im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg vollstreckt. In 121 Nachfolgeverfahren mussten sich etwa 500 Angeklagte in den folgenden Jahren vor US-amerikanischen Militärgerichten verantworten.“
„Der Historiker und ehemalige Häftling Stanislav Zámečník verglich das Krankenrevier des KZ Dachau mit einem inszenierten Potemkinschen Dorf. In den Anfangsjahren des Lagers erhielten einige ausgewählte Besucher die Gelegenheit, es im Rahmen einer Führung zu besichtigen, die seine vorgebliche Harmlosigkeit präsentierte.“

„Als Colonel William W. Quinn, stellvertretender Stabschef des Militär-Nachrichtendiensts G-2 der 7. US-Armee, nach der Befreiung des KZ Dachau von den schockierenden und unbeschreiblichen Eindrücken der Kameraden erfuhr, verschaffte er sich umgehend vor Ort selbst ein Bild der Lage. Er gab an, dass die dort vorgefundenen Massenverbrechen seine Vorstellungskraft überstiegen hätten. Nach seinem Empfinden hätte seinerzeit niemand die im Lager verübten Gräueltaten geglaubt. Daraufhin beschloss er das Erlebte umgehend zu dokumentieren, woraus der Untersuchungsbericht entstand. Im von Quinn unterzeichneten Vorwort heißt es dazu:
Dachau, 1933–1945, wird für alle Zeit als eines der grausamsten Symbole für Unmenschlichkeit in die Geschichte eingehen. Unsere Truppen fanden dort […] so enorme Grausamkeiten vor, dass der normale menschliche Verstand sie nicht begreifen kann. Dachau und Tod waren gleichbedeutend.“
Nun, Colonel William W. Quinn war nicht in Auschwitz…
