50. Berlin Marathon 2024

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Dieser Marathon war für mich auf vielen verschiedenen Ebenen wichtig und daher auch emotionaler besetzt als sonst. Ausgerechnet bei der 50. Edition dabei sein zu können hat dem ganzen noch die Krone aufgesetzt und letztlich auch maßgeblich zu der Motivation beigetragen, die zu meinem persönlichen Erfolg geführt hat. Aber alles der Reihe nach:

2018 war sportlich gesehen noch das Jahr meines Lebens:
Als Vorbereitung für den Mozart 100 bin ich in knapp zwei Monaten 4 Wettkampf-Marathons gelaufen, einer davon ein Traillauf: Linz Marathon in 3:28:04, Wien Marathon in 3:33:36, Innsbruck IATF Trailmarathon mit ca. 2500 Höhenmetern in 4:57:26, Stockholm Marathon in 3:46:52.

Innsbruck Alpine Trailrunning Festival 2018

Ich konnte den Mozart 100 (105km mit ca. 5.500 HM) in 16:50:45 erfolgreich finishen, was immer noch das sportliches Highlight meines bisherigen Lebens ist.

Im Ziel des Mozart 100 anno 2018

Im Herbst konnte ich dann noch, nachdem ich mich drei Wochen zuvor im Triathlon versucht hatte, locker und ohne mich groß zu pushen den Warschau Marathon in 3:11:20 absolvieren, was meine bisherige persönliche Bestleistung bedeutet hat.

Zieleinlauf beim Warschau Marathon 2018

2019 begannen die Probleme mit dem Bewegungsapparat:
Den Bergwerksmarathon unter Tage in Merkers in 3:29:32 und den Prag Marathon in 3:20:58 liefen noch rund, den Rock@Man im Rahmen der Erzberg Adventure Days ging ich schon vorsichtiger an und spätestens in Tallin begannen die Probleme und dort benötigte ich für die Marathondistanz bereits schmerzhafte 4:11:42.
Nach meinem Hochgefühl beim Mozart 100 hatte ich mir als Highlight für dieses Jahr den Hochkönigmann ausgesucht, der leider mit einer Aufgabe endete.

Immer wieder hatte ich bereits an Gatschläufen, neudeutsch OCRs, teilgenommen und obwohl ich die Spartan Race Serie für überteuertes Marketing hielt, wollte ich einmal im Leben ein Trifecta samt zugehöriger (leider geiler) Medaillien machen bzw. haben. Den Sprint habe ich im Winter in Kaprun absolviert, den Super in St. Pölten erledigt aber das Beast erledigte dann mich in Berlin: Kurz vor dem Ziel hatte ich einen Krampf beim Absprung, stürzte unglücklichst. Die Folge: Komplette Schultersprengung Tossy 3, Operation, Reha…

Kurz vorm Ziel beim Spartan Race Berlin 2019
Nicht mehr ganz dort, wo es hinsoll: das Schlüsselbein

2020-2023 waren geprägt von erfolglosen Versuchen wieder ins Training finden zu wollen, der Corona-Pandemie, dem BPP-Syndrom (Bier-Pringles-Pizza) und daraus resultierend einer Gewichtszunahme von 66kg und Sixpack auf 90kg und Monopack.

2023 feierte ich schließlich mein Comeback beim Marathonlauf und finishte untrainiert den 40. Wien Marathon in 5:23:48. Danach begann ich wieder mit gezieltem Training und beim 40. Frankfurt Marathon knackte ich mit 3:58:07 bereits wieder die 4 Stunden Marke.

2024 war ich wieder voll im Training, immer noch und immer wieder mit Problemen körperlicher Natur; aber es ging aufwärts: beim Spreewaldmarathon in 3:50:25 bekam ich die Goldene Gurke und beim Austrian Backyard Ultra in Korneuburg überlief ich mit 54,7 km auch wieder die (inoffizielle) Ultramarathondistanz von 50 Kilometern.

Das diese Teilnahme also eine große Sache war, habe ich es mit den Aufzeichnungen wohl ein wenig übertrieben und den gesamten Trainingsverlauf kann man hier nachlesen. Nur so viel: die ersten vier Wochen waren voll im Plan, danach wieder schmerzende Achillessehen und daher drei Wochen lang statt Laufen nur Rennrad. Teilnahme am Backyard Ultra mit 54,7 km, danach eine Woche Regeneration. Vier Wochen Training (allerdings ohne echte Longruns) und zwei Wochen vor Berlin wieder so genannte Regeneration.

Runden drehen beim Backyard Ultra 2024 in Korneuburg

Als Marathonhotel hatte ich das LOGINN Hotel Berlin Airport auserwählt, da es aufgrund der Lage weit außerhalb des Stadtzentrums am Marathonwochenende noch relativ moderate Preise hatte aber aufgrund der Lage direkt neben der S-Bahnstation S9 Grünbergallee eine direkte Erreichbarkeit des Startareals ohne Umsteigen in 40 Minuten versprach.
Leider machten mir die Berliner Verkehrsbetriebe einen Strich durch die Rechnung, da ein für mich relevanter Teil der Strecke saniert wurde und ein Schienenersatzverkehr eingerichtet war, der die Fahrtzeit auf rund einenhalb Stunden erhöhte.

LOGINN Hotel Berlin Airport – passende Deko

Die Startnummernabholung am Samstag am ehemaligen Flughafen Berlin Tempelhof verlief absolut reibungslos – nostalgische Zeitreise inklusive. Es hat bei mir keine 15 Minuten gedauert, bis ich besagte Nummer samt dem so gut wie leerem Starterbeutel in Händen halten konnte und mit der mir Liebsten durch die Marathonmesse schlendern konnte. So richtig angesprochen hat uns dort beide nichts, da ich persönlich kein Fan von überteuerter Kleidung oder Accessoires bin, auch wenn diese mit „50 Jahre Berlinmarathon“ gebrandet sind.

Retrofeeling am Weg zur Startnummer
Ehemaliger Flughafen Berlin Tempelhof

Immerhin gewann ich beim Vienna City Marathon Stand eine goldene Johann Strauß Quietschente, über die ich sehr glücklich bin.

Die etwas längere Anreise war dann schlußendlich halb so schlimm, wir kamen am Sonntag kurz vor 9 Uhr im Startbereich an und der geplante Start meiner Welle war um 10:10. Es war daher noch genügend Zeit, den Startkorridor zu erreichen wo glücklicherweise nicht das ganz enge Gedränge geherrscht hat wie befürchtet.

Startblock G wartet auf den Startschuß

Die Stimmung war erwartungsgemäß super und nach der Begrüßung isländischer Teilnehmer mit mächtigen „Huhs!“ ging es dann pünktlich über die Startlinie in Richtung Siegessäule. Nun ist es ja so: man hat einen Plan. Man trainiert 16 Wochen lang (mehr oder weniger) und dein treuer Trainingsplan, wie immer von lauftipps.ch, sagt: 21,1 Kilometer mit 5:25 min/km, dann 21,1 Kilometer mit 5:19 min/km, dann schaffst du die 42,195 in 3:47:00. Ich laufe also los und merke bald, daß ich so um die 5:00 bis 5:10 locker und lässig und ohne Müh und ohne Not hopple.

Und das ohne Schmerzen, nicht mal ein Zwicken. Nun, nach 24 offiziellen und ein paar mehr inoffiziellen Marathons in den Beinen wußte ich natürlich, daß das zu schnell ist für meine Verhältnisse. Aber dieses Bedenken hat folgende Überlegung zur Seite geschoben:

Ich habe ein enormes Glück, hier dabei zu sein. Es ist einer der größten Marathons der Welt. Es ist einer der schnellsten Marathons der Welt. Es ist das 50. Jubiläum. Also streng dich verdammt nochmal an!

So habe ich versucht, und das zunächst auch höchst erfolgreich, bei einer Pace von rund 5:00 min/km zu bleiben. Erschwert wurde das durch einen nicht enden wollenden Pulk anderer Läufer, die es zu überholen galt. Abgesehen von Menschen, die unbedingt genau auf (!) der blauen Linie meinen gehen (!) zu müssen, ergibt sich neben dem zwangsweisen Slalomrennen naturgemäß immer wieder eine Mauer an ähnlich schnellen Läuferinnen und Läufern. Hier immer wieder das Tempo zu reduzieren und wieder neu anlaufen zu müssen zehrt natürlich irgendwann an den Kräften.

Aber Berlin bietet, und das muß ich als inzwischen doch recht erfahrener Läufer zugeben, eine einzigartige Atmospäre. Es gab gefühlt keinen Meter ohne Zuschauer, keine 500 Meter ohne lautstarke Anfeuerungen und Musikgruppen, Trommlern, Ratschen, Hupen oder guten alten Ghettoblastern. Obwohl ich eher jemand bin, der versucht das Drumherum auszublenden, so war es unmöglich es nicht zu bemerken und so konnte ich mit innerer Ruhe und äußerem Lärm besagte Pace doch ziemlich lange, bis etwa Kilometer 35, halten.

Danach kam zwar glücklicherweise nicht der Mann mit dem Hammer, aber es ist auch bei den Aufzeichnungen meiner Polar Grit X Pro erkennbar: die Speicher waren leer, der Körper stellt auf Fettverbrennung um. Und dazu muß ich einen Kritikpunkt anbringen, der eigentlich im Nachhinein noch viel schwerer wiegt als ich es beim Rennen direkt wahrgenommen habe: Es gab auf der Strecke keine elektrolytischen Getränke und nur ein sehr eingeschränktes Angebot an Nahrung: es waren, glaube ich, drei Stationen mit Bananen und einmal Gels – die man ja besser nicht ungetestet zu sich nimmt.

Energiequellen

Ja, natürlich konnte man sich vorher informieren, wo welche Art von Verpflegungsstationen sind und was es dort gibt. Aber, seien wir uns ehrlich: bei einem Startgeld in der Höhe von 205 Euro darf ich mir auch oder gerade bei einem Event dieser Größenordnung erwarten, daß zumindest jede zweite Labestelle elektrolytische Getränke anbietet. Meine mir Liebste brachte es auf den Punkt: eigentlich ist das fahrlässig. Es ist bekannt, daß der enorme Verlust beim Marathonlauf nicht durch die reine Aufnahme von Wasser zu kompensieren ist und daß ein übermäßiger Wasserkonsum bei fortschreitender Zeit das Problem nur noch verschlimmert. Da ist, so finde ich, dringend Nachholbedarf.

Streckenführung

Jedenfalls war ich bereit für eine gute Zeit zu kämpfen. Die Kilometer 36 bis 38 wurden nach und nach langsamer, bis ich bei Kilometer 39 nur mehr 6:27 min/km laufen konnte. Ich nahm aber nochmal all meine Willenskraft zusammen, richtete mich auf und begann wieder die Schrittfrequenz zu erhöhen. Das ist, nebenbei bemerkt, ein hervorragender Trick, denn wenn die Frquenz deiner Schritte nicht passt, dann helfen dir auch keine kraftvollen Schritte – im Gegenteil. Im Durchschnitt konnte ich so die „perfekte Frequenz“ von 90 Schritten pro Minute erzielen, bisher auch einzigartig (seit Beginn der Aufzeichnungen).

Ich nahm also wieder Fahrt auf, konnte Kilometer 40 in 6:17 laufen, Kilometer 41 war wieder etwas schneller und nach weiteren 6:10 vollendet. Da war das Brandenburger Tor schon in Sichtweite. Einer der inzwischen häufiger gewordenen Blicke auf die Uhr offenbarte mir, daß ich ich es zum Brandbuger Tor in unter 3:45:00 schaffen kann. Nun, das schaffte ich auch, allerdings ist das Brandenburger Tor nicht das Ziel, wie ich feststellen mußte.

Jubel beim Brandenburger Tor

Der verfrühte Jubelschrei war schon längst verhallt als ich das tatsächliche Ziel wenige dutzend Meter später überlaufen durfte. Ich sage es selten: Ich bin stolz auf mich und ich bin stolz auf meinen Körper. 3:45:57 ist nun meine Bestzeit für die Zeit nach dem Unfall und das ist immerhin rund 1 Stunde und 40 Minuten schneller als noch vor einem Jahr in Wien!

Damit man sich vorstellen kann, welche Menschenmassen hier ins Ziel fließen

Keinen einzigen Meter der 42.195 – plus ein paar mehr für den Slalomlauf – habe ich meine störrischen Achillessehnen gespürt. Bis auf ein leichtes Ziehen im linken Oberschenkel ab Kilometer 35 hatte ich auch keine sonstigen körperlichen Beschwerden, abgesehen von der Erschöpfung. Würde ich solche Worte leichtfertig in den Mund nehmen, würde ich fast sagen: es war ein Wunder, waren doch 12 Wochen der Vorbereitung davon geprägt.

Glücklich und zufrieden im Ziel mit dem Objekt der Begierde

Abschließend, als eher nüchterner und emotionsarmer Läufertyp, kann ich sagen, daß man in Berlin jedenfalls fündig wird, wenn man einen spektakulären Stadtmarathon mit großartiger Stimmung laufen will. (Von der Kulisse habe ich, den Blick auf die blaue Linie und die Läufer vor mir gerichtet, aber um ehrlich zu sein nicht allzu viel mitbekommen.) Organisatorisch war es, auch wenn es Andere anders empfunden haben mögen, absolut gut und für die Größenordnung vom Ablauf her auch sehr geordnet.

Die Kritik an der fehlenden Versorgung mit Iso habe ich bereits erwähnt und zum Zielbereich könnte ich noch folgendes anmerken für alle Läufer, die da noch kommen mögen: Kurz nach dem Ziel bekam man seine Medaillie, die übrigens ein wahres Prachtstück ist.

Finishermedaillie des 50. Berlin Marathons 2024

Es gab zwar Schilder und Wegweiser und Helfer, die sehr bemüht waren, aber es war dann doch etwas chaotisch. Die nächste Station war ein Stand, wo eine Art Rettungsdecke ausgegeben wurde. Diese wurde von Vielen, wie auch mir, für den beworbenen Poncho gehalten, den es aber nur für diejenigen gab, die keinen Kleiderbeutel gekauft hatten. Also bekamen die Decke nur jene, die einen Kleiderbeutel hatten, es wollten jedoch wohl fast alle erstmal eine Decke, denn man hielt sie für den Poncho – oder eben für eine Decke, die jeder bekommen sollte. Den Poncho an sich jedoch gab es erst viel später, dort wiederum wurden all jene abgewiesen, die den Kleiderbeutel gekauft hatten und daher eben keinen Poncho bekamen. Viel Aufwand und Frust also um die Regel Beutel ist gleich Decke und kein Beutel ist gleich Poncho umzusetzen. Ich denke mal, es wäre um einiges besser und frustfreier, würden einfach alle Läufer nach dem Ziel diese Decke oder den Poncho bekommen oder meinetwegen keiner der Läufer einen Poncho und alle eine Decke oder was weiß denn ich. Völlig erschöpfte Menschen abzuweisen wegen einer ihnen nicht zustehenden Plastikdecke stößt halt nicht bei Allen auf Verständnis und Gegenliebe.

Kurz nach dem Ziel hatte ich erstmal nichts außer Durst und Hunger. Aber es dauerte keine Stunde, da wußte ich: der nächste Marathon kann kommen – aber haltet bitte die nächsten Tage Stufen von mir fern.

Ein klein bisschen stolz darf man dann doch sein, auch wenn man zu den grummeligen Läufern zählt.

Zum Schluß noch eine Anmerkung, wie Alles so zusammenhängt: ich konnte den Berlin Marathon 2024 fast auf den Tag genau 5 Jahre nach meinem Unfall in Berlin laufen, was eine enorme Genugtuung bedeutet. Zudem fand der Marathon fast auf den Tag genau 6 Jahre nach dem Erreichen meiner persönlichen Bestleistung in Warschau 2018 statt. Freud und Leid laufen also Hand in Hand und ich bin zuversichtlich, daß die Leistungskurve nun wieder nach oben zeigt.

Ich möchte mich hier auch noch bei der mir Liebsten bedanken, die vermutlich – eigentlich sogar sehr sicher – weit aufgeregter war als ich, die sämtliche Renninformationen schwammartig in sich aufgesogen hat um ihr Wissen dann – ob ich es wollte oder nicht – über mir auszuwringen. Zitat meinerseits: „Das seh ich dann eh.“ 😉
Danke, daß du mich kreuz & quer durch Berlin verfolgt hast und sorry, daß ich zu schnell gelaufen bin sodaß du mich gar nicht sehen konntest. Ein besonderes Danke auch für das ganz tolle, sehr persönliche, großartig durchdachte Anfeuerungsplakat (das ich auf der Strecke leider nicht zu Gesicht bekam). Es wird einen Ehrenplatz bekommen!