KZ Gusen, Schloß Hartheim, KZ Mauhausen 2024

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Wer mich persönlich oder diese Seite kennt, der weiß, wie wichtig es mir ist, an die Gräuel des nationalsozialistischen Regimes zu erinnern als Warnung vor zukünftigen und derzeit leider auch sehr aktuellen Entwicklungen. Auch meinen heurigen Jahrestag meines Geburtstages wollte ich dieser Thematik widmen, so wie im Jahr zuvor schon mit dem Besuch des KZ Dachau.

Seit einigen Wochen lese ich abends (un-) regelmäßig ein paar Kapitel aus „Anus Mundi: Fünf Jahre Auschwitz“ von Wiesław Kielar. Es ist interessant, wie die täglichen Gräuel zumeist relativ emotionsarm beschrieben werden, fast so als würde man notieren, wie viele Menschen über eine Straßenkreuzung gehen. Emotionen werden zumeist dann erlesbar, wenn es um eine Verbesserung des eigenen Zustands geht, sei es durch geschmuggeltes Essen oder sei es durch die Zuteilung zu einem leichteren Arbeitskommando.
Eine unmittelbare Auswirkung dieser abendlichen Lektüre ist, daß egal wie der Tag war und egal über was ich mich vielleicht geärgert habe inklusive mir selbst: Ich habe keine echten Probleme.

Eine mittelbare Auswirkung ist das Nachdenken darüber, wie ich mich selbst verhalten hätte, verhalten hätte müssen, verhalten hätte können. Was hätte ich getan oder tun können, wäre ich wie Kielar in der Hackordnung eher weiter unten gestanden?
Was hätte ich getan, tun können oder tun müssen, hätte man mich als Kapo eingeteilt, als Blockältesten, als Funktionshäftling?
Was wäre mit meiner Menschlichkeit passiert?

Die beunruhigende Antwort ist, soweit ich mir diesen Zustand überhaupt auch nur annähernd vorstellen kann: Vermutlich Vieles, das nötig gewesen wäre, um zu überleben.

Es ist natürlich ein zutiefst perfides System, so genannte Funktionshäftlinge einzusetzen um die restlichen Häftlinge zu überwachen, anzutreiben und notgedrungen oder manchmal auch freiwillig so zu behandeln, daß die diensthabende SS zufrieden gestellt wird. Hätte ich versucht, mich human zu verhalten? Ich gehe davon aus. Hätte ich gezögert, hätte ich jemanden schlagen oder gar totschlagen müssen? Ich gehe davon aus. Beim ersten Mal sehr sicher sogar. Was aber hätte ein solches System in 5 Jahren aus mir machen können?

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf machte ich mich am Sonntag auf den Weg nach Oberösterreich und mein erster Halt war das ehemalige Konzentrationslager Gusen. Das Wetter hatte sich dem Thema angepasst und nach einem sonnigen Samstag präsentierte sich der Dezember heute von der nebelig-trüben Seite.

Die Lager des KZ Gusen waren Außenlager des KZ Mauthausen und bestanden von 1939 bis 1945. Ungefähr 60.000 bis 70.000 Häftlinge aus ganz Europa wurden nach Gusen verbracht, ca. 35.000 sind in den Lagern oder den Produktionsstätten ermordet worden. Die Häftlinge wurden für Arbeit in den Steinbrüchen (für die SS-eigene Firma „Deutsche Erd- und Steinwerke“) und der Rüstungsindustrie (für die Steyr-Daimler-Puch AG) sowie eingesetzt, wobei für Letzter riesige Stollenanlagen wie der Stollen „Kellerbau“ mit ca. 8000 m² oder der Stollen „Bergkristall“ mit unglaublichen 50 000 m² als unterirdische Produktionsflächen unter unmenschlichen Bedingungen geschaffen wurden.

Die KZ-Gedenkstätte Gusen besteht (bisher) eigentlich nur aus einem sehr übersichtlichen Besucherzentrum und der Gedenkstätte an sich. Dennoch ist das Areal des KZ nicht gänzlich verschwunden. Nach der Befreiung wurden die meisten Bauten zwar abgetragen, nach 1955 ging das Areal aus sowjetischen wieder in österreichische Hände über. Nun wurde, ähnlich wie in Ebensee, wenig Rücksicht auf die Bedeutung des Ortes gelegt und das ehemalige Lager wurde parzelliert, abverkauft und auf dem ehemaligen Lagergelände entstand eine Wohnsiedlung. Es mußten internationale Häftlingsverbände sein, die um den noch erhaltenen Krematoriumsofen eine Gedenkstätte initiierten.

Das Besucherzentrum allerdings ist für mich architektonisch gelungen. Es zieht den Besucher förmlich hinein, tief hinein, mit nur ein paar Lettern als Ziel: KZ GUSEN.

KZ Gedenkstätte Gusen
KZ Gedenkstätte Gusen

Ich war alleine in diesem Raum, nicht einmal Mitarbeiter waren vor Ort. Ein Zettel informierte, daß der Mitarbeiter auf Rundgang sei. Um ehrlich zu sein: es ist mir ohnehin viel lieber so. An so einem Ort tue ich mir schwer mit Geplapper, tue ich mir schwer mit Reden, tue ich mir schwer mit Worten. An so einem Ort bin ich am liebsten alleine mit meinen Gedanken.

Manchmal braucht es jedoch einen Denkanstoß von Außen, wie beispielsweise bei diesem Modell des Lagergeländes. Die Beschreibung offenbarte: Elia Mondelli, ein Überlebender italienischer Abstammung, hat es aus seiner Erinnerung heraus gefertigt. Es zeigt das Lager jedoch nicht wie es tatsächlich war. Es zeigt das Lager, wie es für ihn als Häftling war. Es zeigt winzige, unbedeutende Baracken, es zeigt hohe unüberwindbare Mauern und es zeigt einen Lagereingang, das so genannte Jourhaus, in absurd verzerrter Monstrosität.

KZ Gedenkstätte Gusen
KZ Gedenkstätte Gusen – Modell des Lagergeländes von Elia Mondelli

Der zentrale Ort des Gedenkens ist, wie bereits erwähnt, der ehemalige Krematoriumsofen der Firma Topf & Söhne: ein Doppelmuffelofen des Typs „D-57253 Modell Auschwitz“. Es sollte bis 1965 dauern, bis rund um den bereits als Gedenkort genutzten Ofen ein Denkmal errichtet werden konnte. Es wurde nicht von der Gemeinde, dem Land oder dem Bund, nein, es wurde von Überlebendenverbänden finanziert und auch von ehemaligen Häftlingen geplant.

Doch zurück zur Wohnsiedlung, die in den 1960er bis 1970er Jahre auf den ehemaligen Lagergelände entstand. Für den Bau wurden nicht nur Fundamente weitergenutzt und Steine wiederverwendet, es lassen sich sogar noch komplett erhaltene Bauwerke des Konzentrationslagers selbst finden. Diese befinden sich jedoch in Privatbesitz und ich wollte Anstand wahren und meine Kamera nicht über fremde Zäune heben. Die Fotos spiegeln den tatsächlichen Blick von der Straße wieder. Bessere Fotos in Bezug auf historische Gemäuer kann man im Internet leicht finden.
Es kann beispielsweise das ehemalige Häftlingsbordell (heute ein privates Wohnhaus) gefunden werden, der ehemalige Lagereingang, genannt das Jourhaus (heute eine private Villa) oder die nebeneinander liegenden ehemaligen SS Wachgebäude und das SS Versorgungsgebäude (beide inzwischen wieder im Besitz der öffentlichen Hand).

2021 hat der österreichische Staat damit begonnen Grundstücke mit historischen Gebäuden zurückzukaufen. So befinden sich inzwischen der Steinbrecher des Steinbruchs, noch vorhandene Teile des Apellplatzes sowie zuvor genannte Baracken in Staatseigentum. Es wurde ein Masterplan in Kooperation mit den Anrainern erarbeitet, wie diese Areale am Besten in die Gedenkstätte eingebunden werden sollen und ich bin zuversichtlich, daß in naher Zukunft eine Aufwertung der Gedenkstätte ohne weitere Abwertung der Siedlung stattfinden wird.

Bis dahin ist noch ein Stück Weg zu gehen und so bin ich vorerst selbst durch die Gassen der Wohnsiedlung gestreift. Die Namen Gartenstraße, Blumenstraße oder Parkstraße lassen von der früheren Nutzung genau gar nichts erahnen. Nur wenn man weiß, daß genau dieses Einfamilienhaus einmal dafür benutzt wurde, Funktionshäftlingen fleischliche Genüsse mit Zwangsprostituierten aus dem KZ Ravensbrück als Belohnung für Ehre und Treue zu erlauben, versteht man ein wenig warum die freie Durchsicht eingeschränkt wurde oder warum das Tor zu eben genau dieser einen Villa, die der ehemalige Lagereingang und ein SS Gebäude war, nachträglich verblendet wurde.

Ich will mich hier aber gar nicht moralisierend hinstellen und sagen: „Ich würde nicht an einem Ort leben wollen, an dem über 35.000 Menschen umgekommen sind.“ Würde ich zwar tatsächlich nicht wollen, aber ein häufiges Argument ist: „Die heutige Generation kann nichts dafür, was damals passiert ist.“ In der Tat, dafür kann sie nichts. Aber die heutige Generation kann etwas dafür, wie zukünftige Generationen über uns urteilen werden und ich denke in diesem Kontext, daß es an jedem Einzelnen von uns liegt, wie wir uns der Vergangenheit stellen, wie wir damit umgehen und welche Lehren und Schlüsse wir daraus ziehen und welche Vorkehrungen wir treffen, damit sich ein derartiges Unrecht, das sich einer angemessenen Beschreibung verwehrt, nicht wiederholt.

KZ Gedenkstätte Gusen
KZ Gedenkstätte Gusen

Danach machte ich auf dem Weg nach Linz, wo ich ein Hotelzimmer gebucht hatte, noch Halt beim ehemaligen Stollensystem „Bergkristall“, ein riesiges unterirdisches Flugzeugwerk, für dessen Errichtung viele Zwangsarbeiter um Leben kommen mussten. Dazu wird es hoffentlich im Frühjahr einen ausführlicheren Bericht geben, denn ich befinde mich auf der Warteliste für eine der seltenen Führungen und ich bin zuversichtlich, die unterirdische Produktionsstätte bald besuchen zu können. Voerst mögen diese Bilder von Außen genügen.

Das Hotel Garni Kleinmünchen in Linz war eine passende Wahl. Günstiger Preis für ein Einzelzimmer mit Etagen-WC. Ja, das gibt es noch und die Einrichtung war eine Reise in die kleinbäuerliche Vergangenheit. Was benötigt man für eine Übernachtung denn mehr als ein Bett? Ja, die Duschkabine im Zimmer war nett aber wäre doch bitte nicht nötig gewesen und wäre in Verbindung mit dem Gang-WC auch viel reizvoller gewesen. Das Frühstück hingegen war gut, frische Kornspitz und Semmeln, Wurst, Käse, Aufstriche, Rührei, Müsli und Mehlspeisen. Also eh alles nur eben ohne Schnörkel dafür mit Kreuz und ausgestopften Tieren.

Am nächsten Tag fuhr ich zu einem der (Zitat Wikipedia) bedeutendsten Renaissanceschlösser Österreichs: Schloß Hartheim. Bekanntheit hat es allerdings nicht aus architektonischen Gründen erlangt, sondern aus zutiefst Verabscheuungswürdigen. Schloß Hartheim war einer der Orte im Dritten Reich, wo die sogenannte „Aktion T4“ in großem Stil durchgeührt wurde: 1940 bis 1941 wurde systematischer Massenmord an ca. 70.000 körperlich und geistig beeinträchtigter Menschen durchgeführt.

Nun hatte das Schloß, über dessen Errichtung wenig bekannt ist, das jedoch bereits 1287 explizit erwähnt wurde, eine lange Geschichte bezüglich der „Schwach- und Blödsinnigen, Idioten und Cretinösen“. 1898 schenkte Graf Camillo Heinrich Fürst Starhemberg die Burg dem Oberösterreichischen Landeswohltätigkeitsverein, welcher, bis zur Schließung aller religiösen Einrichtungen und Wohlfahrtsvereine durch die Nationalsozialisten 1938, eine Pflegeanstalt für für Menschen mit Behinderungen unterhielt.

Schloß Hartheim
Schloß Hartheim

Von Weitem schon sieht man das Schloß über den Ort aufragen und mit dem Wissen über das Vergangene wirkt es fast, dem Nebel sei „Dank“, als würde ein dunkler Schatten über dem Ort liegen.

Schloß Hartheim
Schloß Hartheim

Zuerst habe ich das Schloß einmal umrundet. Es ist architektonisch durchaus ansprechend, hübsch sozusagen, aber spätestens im Hof, der während der Nazizeit als Busbahnhof genutzt wurde, stößt man jedoch auf die ersten Zeichen, daß sich hier Tragödien abgespielt haben. Erst in den frühen 2000er Jahre wurden bei Grabungen sterbliche Überreste aus dem Krematorium gefunden, die hier verscharrt waren. Diese Asche und weitere, durch elektrische Knochenmühlen zerkleinerte, Überreste der Ermordeten wurden sodann in eine 2002 errichtet Grabstätte überführt. Erinnerungsplaketten säumen die Wand des Schlosses und auf der anderen Seite befindet sich ein französisches Mahnmal.

Schloß Hartheim scheint nicht sehr gut frequentiert zu sein, jedenfalls nicht Anfang Dezember. Jedenfalls mußte ich läuten und wurde von einer sehr netten jungen Dame begrüßt. Ich möchte mich an dieser Stelle dafür entschuldigen, daß ich so kurz angebunden war, aber – wie bereits erwähnt – bin ich an solchen Orten gerne mit meinen Gedanken gerne alleine.

Schloß Hartheim
Schloß Hartheim

Nach einem kurzen Blick auf den gefälligen Innenhof machte ich mich auf den Weg, zuerst die Gedenkstätte zu besuchen.

Schloß Hartheim
Schloß Hartheim

Es bedarf einer gewissen Erklärung der „Aktion T4“. Wie wohl allgemein bekannt ist, wurden unter der nationalsozialistischen Herrschaft rund 6 Millionen Menschen jüdischen Glauben ermordet. Es ist bei solchen Zahlen wohl immer wichtig, diese in Relation zu setzen, da das meschliche Gehirn große Zahlen mitunter nicht mehr einordnen kann. 6 Millionen Menschen hätte 1939 bedeutet, daß fast die gesamten Einwohner Österreichs ermordet worden wären. Würde man 6 Millionen Menschen bei einer angenommenen Höhe von 20 Zentimetern stapeln, würde man einen Leichenturm von 1.200.000 Meter Höhe bauen können. Der Mount Everest ist 8.849 Meter hoch.

Bei der so genannten „Endlösung der Judenfrage“ ging es schlußendlich um Ideologie. Natürlich ging es auch um mehr, aber darum geht es zumindest hier nicht. Bei der erst nach Ende des Krieges eingebürgerten Bezeichnung „Aktion T4“ ging es darum, daß im Sinne einer „völkischen Reinheit“ die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ zu betreiben sei. Es gab ein „Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes“ und auch wenn zum Beispiel ein Joseph Goebbels aufgrund seines Klumpfußes und seiner geringen Körpergröße bereits zeitgenössisch als „Schrumpfgermane“ tituliert wurde, auch wenn der große Führer selbst von den propagierten Idealen eines großen, schlanken, blonden und blauäugigen Deutschen wohl weiter entfernt war war wie Berlin zu Moskau, so betrieb das Regime höchst aktive Sterbehilfe an geistig und körperlich beeinträchtigten Personen – deutschen Blutes.

Mit Bouhler Frage der stillschweigenden Liquidierung von Geisteskranken besprochen. 40000 sind weg, 60000 müssen noch weg. Das ist eine harte, aber auch notwendige Arbeit. Und sie muß jetzt getan werden. Bouhler ist der rechte Mann dazu.“

31. Januar 1941, Joseph Goebbels in seinem Tagebuch

Zu Beginn schrieb ich, daß besagte Aktion von 1940 bis 1941 durchgeführt wurde. Hat man also innerhalb dieser kurzen Zeit das Ziel erreicht? Mitnichten, im Gegenteil. Es regte sich nämlich Widerstand. Widerstand vonseiten der Zivilbevölkerung, seitens katholischer und evangelischer Kirchenvertreter und, was vermutlich wohl ausschlaggebend war, vonseiten des Vormundschaftrichters Lothar Paul Ernst Kreyssig, möge sein Name nicht vergessen werden. Dieser hatte bemerkt, daß sich nach Verlegungen die Tode seiner Mündel unnatürlich häuften. Er erstatte, nachdem er erfahren hatte, daß dies in der direkten Verantwortung der Kanzlei des Führers lag, Anzeige wegen Mordes gegen Reichsleiter Philipp Bouhler selbst. Er erstatte Anzeige, wohl wissend, daß dies für ihn persönlich eine Fahrkarte in ein Konzentrationslager bedeuten konnte.
Kreyssig wurde in Folge zwar nur in den Ruhestand versetzt, jedoch mussten im Rahmen dieser „Amtshandlungen“ mehr als 90 hochstrangige Justizbeamte in die Vorgänge eingeweiht und einbezogen werden, was zu einer Stillhalte-Weisung führte. Die Beteiligten wurden angehalten und selbige setzen auch um, daß es diesbezüglich keine neuen Verfahren geben sollte und laufende Verfahren abzuweisen waren. Dies markierte die Mittäterschaft bzw. die schweigende Zustimmung oder Tolerierung dieser Maßnahmen seitens der deutschen Justiz.
Andere Quellen schreiben dem deutschen Bischof Clemens August Graf von Galen maßgeblichen Einfluß auf den Abbruch der Aktion zu. In vielbeachteten Predigten, die ihren Weg in die breite Öffentlichkeit über Flugblätter und Abschriften fanden, stellte er sich bisweilen eindeutig nicht nur gegen die Ermordung Kranker, sondern auch – verschlüsselt aber doch – gegen die NS Herrschaft und den so genannten Führer:

So wird unser deutsches Volk und Vaterland trotz des Heldentums unserer Soldaten und ihrer ruhmreichen Siege an innerer Fäulnis und Verrottung zu Grunde gehen! Lasset uns beten für alle, die in Not sind, besonders für unsere verbannten Ordensleute, für unsere Stadt Münster, daß Gott weitere Prüfungen von uns fern halte, für unser deutsches Volk und Vaterland und seinen Führer!

13. Juli 1941, Bischof Clemens August Graf von Galen in St. Lamberti

Jedenfalls wurde die Aktion T4, Quellen zufolge auf persönlichen Befehls Adolf Hitlers, am 24. August 1941 eingestellt. In den Gewölben, in denen die Geschichte der rassenideologischen Euthanasie sowie die Rolle Hartheims beleuchtet werden, finden sich mitunter Bilder und Geschichten, denen ich hier ausreichend Platz widmen möchte.

Schloß Hartheim
Schloß Hartheim, Ausstellung

Es gab zwei Zeiträume in meinem Leben, in denen ich bittere Erfahrung sammeln mußte, was den Umgang mit vermeintlich „lebensunwerten Lebens“ betrifft. Zwar möchte ich dies hier nicht in aller Ausführlichkeit erzählen, dieser Artikel ist dafür noch nicht der rechte Platz, dennoch symbolisiert folgendes Bild aus der Ausstellung gewissermaßen die Situation:

Schloß Hartheim
Schloß Hartheim

Meine Mutter war zeitlebens, zumindest meines Lebens, in gewisser Weise immer krank. Körperliche Leiden wechselwirkten mit psychischer Instabilität. Daraus entwickelte sich, gebräut in einem Strudel aus Chemotherapien und Depressionen, eine körperlich und geistig leidende Frau.
Meine Großmutter pflegte ihre Tochter bis zu ihrem Tod. Auch wenn es auf vielen Ebenen schwer war, so stand die Option „T4“ nie zur Debatte, nie auch nur zu denken.
Meine Großmutter wurde 96 Jahre alt. Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte sie in häuslicher Pflege. Einer ihrer Schlaganfälle mündete in der Notaufnahme und als ich ankam, lag sie unter schweren Krämpfen nackt auf einer Bahre; ein Anblick, den man keinem Enkel wünscht. Jedenfalls blieb für Außenstehende eine Hülle zurück, die jedoch zuweilen auflebte in einzelnen Worten, Sätzen, Gesten, Blicken. Der damals diensthabende Arzt meinte es wäre besser, die künstliche Ernährung einzustellen. Abgesehen davon, daß dies unter Sterbehilfe fällt und sich der Arzt eine verbal mächtige Zurechtweisung seiner Vorgesetzten samt Versetzung einhandelte: wer wäre ich gewesen zu urteilen?

Was geht in den Köpfen jener vor, die sich nicht mehr artikulieren können? Ist es zwangsweise Leid und Elend oder kann es nicht auch ein Kreislauf der glücklicheren Erinnerungen sein? Und sei es drum, wie könnte ich verantworten, einem Menschen – meiner Großmutter – wissentlich und willentlich das Recht auf Leben zu nehmen?

Die Gedanken sind frei,
Wer kann sie errathen?
Sie rauschen vorbei
Wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wißen,
Kein Jäger sie schießen.
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei.

Deutsches Volkslied

Es kam nicht auf diese Art so weit, es kam anders aber auch so weit, es kam später aber für all jene Menschen, die nach Hartheim kamen, kam es schnell und effizient.

Es gestaltete sich wie folgt: die „grauen Busse“ brachten die Kranken und sie verließen den Bus. Sie befanden sich danach in einer Art Holzverschlag vor dem Schloß. Von dort ging es in den Innenhof des Schloßes wobei nur der Arkadengang betretbar war und der Innenhof selbst mit einer Verbretterung abgetrennt war. Es führte also nur ein Weg weiter, nämlich zum Auskleideraum. Von dort in den Untersuchungsraum, wo markiert wurde wer Goldzähne hatte und wo selektiert wurde, wer ein „medizinischer Sonderfall“ sein konnte und dem daher etwaig Präperate (vornehmlich das Gehirn) entnommen werden sollte. Von dort in die Gaskammer, von der Gaskammer in den Leichenraum und von dort in den Krematoriumsofen und von dort in den Kamin und von dort…

Gehen wir den Weg gemeinsam: Nach dem Raum mit den Namen gelangte ich in die ehemalige Gaskammer. Da gegen Ende des Krieges die selbsternannten Übermenschen versuchten, möglichst viele Spuren ihrer Unmenschlichkeit zu beseitigen, wurden die Bodenfliesen, die aus hygienischen Gründen eingebracht wurden, entfernt und darüber eine dünne Schicht Estrich aufgebracht (von KZ-Häftlingen aus Mauthausen). Weitere Rückbauten wurden vorgenommen, konnten jedoch restauratorisch erfasst und katalogisiert werden. Das Scherengitter vor dem Fenster ist noch im originären Zustand. Nicht mehr auffindbar aber dokumentiert ist ein Zettel des Auschwitzer Häftlings Miguel Juste. Dieser hatte die Aufgabe, die Tür von der Gaskammer in den Innenhof zu vermaueren und konnte dabei einen Zettel verstecken, so daß die Nachwelt Kenntnis davon haben würde.

Für die Lebenden war hier Endstation, für die Toten ging es durch den Technikraum (in dem die Gasflaschen gelagert wurden) in den Leichenraum, wo sie bis zur Verbrennung gestapelt wurden.

Den ehemaligen Standort des Krematoriumofens markiert heute eine Lichtinstallation. Rauchfang und Anschluß wurden rückgebaut.

Hartheim war zudem eine Fälschungsmaschinerie. Es gab ein Sonderstandesamt, das gefälschte Todesdaten, Todesarten (vergast kam wohl nicht gut an) und Todeszeitpunkte in offizielle Sterbeurkunden eintrug, welche den Angehörigen übersandt wurden. Während der Verwendung als Tötungsanstalt gab es kein einziges Krankenbett in diesem Gebäude, das zuvor 40 Jahre lang als Pflegeanstalt genutzt wurde.

Nach diesen Eindrücken begab ich mich in die Ausstellung „Wert des Lebens“, welche sich mit dem historischen Umgang mit beeinträchtigten Menschen beschäftigt.

Die Eugenik ist die Lehre der vermeintlich guten Erbanlagen bzw. deren Verbreitung und der Verminderung schlechter Erbanlagen. Nun verfolgten nicht nur Nationalsozialisten ihre Rassenhygiene, auch in anderen Länder wurden solche Ideen verbreitet. Schockiert hat mich unter Anderem dieser Nachbau einer amerikanischen „Blinklichtinstallation“ aus 1926. „Alle 15 Sekunden gehen $100 an Menschen mit schlechtem Erbgut so wie die Verrückten, Schwachsinnigen, Kriminellen und anderen Mangelhaften.“ steht dort zu lesen…

Schloß Hartheim
Schloß Hartheim – „Der Wert des Lebens“

Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt. 

Gustav Heinemann

Folgendes Plakat hat mich ebenso verstört: Der schwarze Stroch. Ein Film vo 1917 in dem es darum geht, daß sich ein Arzt weigert, ein beeinträchtigtes Neugeborenes zu behandeln, welches folglich verstirbt.

Schloß Hartheim
Schloß Hartheim – „Der Wert des Lebens“

Ich werde niemandem, auch nicht auf seine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten. Auch werde ich nie einer Frau ein Abtreibungsmittel geben. Heilig und rein werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren.

Auszug aus dem Eid des Hippokrates

Zum Abschluß noch das Finanzielle. Kosten, Nutzen. Die Hartheimer Statistik wurde nach der Einstellung der Aktion „T4“ verfasst und wurde vom amerikanischen Untersuchungsoffizier Charles Dameron entdeckt. Dadurch konnte die genaue bzw. dokumentierte Azahl der Getöteten festgestellt werden. Es wurde berechnet, wie viel sich bei einer angenommenen Lebenserwartung von 10 Jahren „auf Grund der bisher durchgeführten Desinfektion von 73.273 Personen erspart worden“ ist. In Hartheim wurden, laut diesen Aufzeichnungen, in den 16 Monaten zwischen Mai 1940 und 1. September 1941 insgesamt 18.269 Menschen ermordet. Insgesamt sollen, KZ-Häftlinge und ausländische Zwangsarbeiter eingeschlossen, rund 30.000 Menschen den oben beschriebenen Weg gegangen sein.

Schloß Hartheim
Schloß Hartheim – Hartheimer Statistik

Zum Abschluß von Hartheim noch ein Plakat, das zeigen soll, daß man anstelle eines Heims mit 130 „Schwachsinnigen“ auch 17 „Eigeheime für erbgesunde Arbeiterfamilien“ bauen könnte – weil „Erbkrake fallen dem Staat zur Last“.

Schloß Hartheim
Schloß Hartheim – Wert des Lebens

Abschließend darf ich noch einen Gedanken in Worte fassen, der mir in der einen oder anderen Weise bei jedem Besuch einer Gedenkstätte dieser Art durch den Kopf geht. Der Nationalsozialismus erhob die „arische Rasse“ über alle anderen „Rassen“, hielt sie für die höchstwertige und einzig kulturschöpferische „Rasse“: die „Herrenrasse“. Juden waren nicht mehr als Ungeziefer, das lästig war und vom Erdboden getilgt werden sollte. Zigeuner, Homosexuelle usw.: minderwertig. Man war als Deutscher sozusagen per Definition die Krone der Schöpfung. Nun sollte man meinen, man würde sich im Recht wähnen, wäre man von der göttlichen Vorsehung zur Weltherrschaft berufen worden. Wie kann es sein, daß Alles versucht wurde, die Gräueltaten zu verschleieren? Warum nicht aufstehen und sagen: „Das war unser Recht als Deutsches Volk!“ Warum die Gaskammern sprengen? Warum nicht aufstehen und sagen: „Das war unser Recht als Deutsches Volk!“ Warum nach Südamerika fliehen? Warum nicht aufstehen und sagen: „Das war unser Recht als Deutsches Volk!“ Warum Suizid angesichts der weltlichen Gerichtsbarkeit? Warum nicht aufstehen und sagen: „Das war unser Recht als Deutsches Volk!“ Weil es von Grund auf damals und heute und für immer falsch war und ist und bleiben wird und jeder Versuch, diese Geisteshaltung in irgendeiner Form zu reanimieren, verabscheuungswürdig ist.

Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen war leider geschlossen. Das hat mich richtig geärgert, also nicht daß geschlossen war, sondern daß ich das in meiner Planung tatsächlich überlesen hatte. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Tour in anderer Reihenfolge zu gestalten. Aber, sei es, wie es war: Die von außen ergehbaren Bereiche sowie die Denkmäler konnte ich sehen. Es wäre ja mein zweiter Besuch in Mauthausen gewesen, rund 20 Jahre nach meinem ersten Kontakt mit einem nationalsozialistischen Vernichtungslager. Da ich es dabei nicht belassen werde, möchte ich meine Gedanken zu Mauthausen bei der nächsten sich bietenden Gelgenheit verarbeiten. Daher gibt es hier nur ein paar unkommentierte Fotos meines Aufenthalts.

Der ehemalige Sportplatz der SS und der Ort, an dem „tausende Häftlinge, die nach der Befreiung des KZ an den Folgen der Haft verstorben sind“ begraben wurden:

Die begehbaren Lagerbereiche sowie ein Rundgang um die Gedenkstätte:

Eine kleine Auswahl der Denkmäler:

Von den Denkmälern möchte ich eines hervorheben. Es liegt auf dem Weg zur (vorübergehend geschlossenen) Todesstiege. Es handelt sich um das Kinder- und Jugenddenkmal, das – so ergaben meine zugegebenermaßen etwas oberflächlichen Recherchen – ursprünglich von Angela Zwettler gestaltet wurde. Ich möchte vorsichtshalber Frau Zwettler hier auch zitieren: „Durch die konzipierte Veränderbarkeit schließt es nicht an die Tradition der Denkmäler in Mauthausen an.“
Soweit ich das anhand der Fotos beuteilen kann, ist die grundsätzliche Skulptur – die ich als menschlicher Körper stilisierte Rutsche interpretiere – noch originär. Was allerdings meine Aufmerksamkeit erweckte ist etwas, das nachträglich verändert wurde. Kalt und steril aus Edelstahl: ein Schaukelgestell. Die Schaukel ist fixiert, es gibt kein Spielen. Nur die Rutsche.

Und hier schließt sich ein bisschen der Kreis vom „ewig-gestrigen“ in Heute. Frau Angela Zwettler beklagt auf ihrer Website politische Einflußnahme der damals schwarz-blauen Regierung auf die Gestaltung des bereits beauftragten Denkmals.

KZ Mauthausen - Denkmal für die Kinder
KZ Mauthausen – Denkmal für die Kinder