Rom 2025

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Bei meinem nun vierten Romaufenthalt sollte es nun endlich soweit sein: San Carlo alle Quattro Fontane, das Meisterwerk des barocken Baumeisters Francesco Borromini, von innen zu sehen. Die Fassade ist geschwungen, konkave und kovexe Strukturen wechseln sich geschickt inszeniert ab. Die leichter wirkende obere Hälfte der aufgrund der geringen Straßenbreite mit meinen Mitteln nich ganz zu fotografierenden Front, ähnelt der schwereren Struktur darunter ohne sie zu wiederholen.

Ich war höchst erfreut, daß mir die Türen nun endlich offen standen und trat in den Innenraum der kleinen Kirche, die so klein ist, daß sie in einen Vierungspfeiler des Petersdoms passen würde. Klein also aber mit großer Wirkung. Der ovale Grundriß ist durch Nischen stukturiert, hochstrebende Säulen tragen den Architrav. Darüber wiederum lenken Bögen und Gewölbe die Last der ovalen Kuppel um, die mit illusionistischer Kasettierung eine perspektivisch verjüngende Wirkung erzeugt. Auf der Kuppel befindet sich noch eine ebenfalls ovale Laterne mit Darstellung der heiligen Dreifaltigkeit. Ich denke man muß nicht unbedingt an Architektur interessiert sein um die Meisterhaftigkeit dieses Entwurfs zu verstehen beziehungsweise zu erahnen oder zu erfühlen.

Die Unterkirche ist eine auf das Wesentliche reduzierte Kopie der Kirche selbst, quasi eine Rohfassung ohne all den Nischen und den Vorsprüngen und den Rücksprüngen.

Neben der Kirche ist noch der Kreuzgang zugänglich, der ebenfalls die Grundidee mit anderen Elementen wiederholt. Die Kirche ist also irgendwie eine architektonische Entsprechung der Variation in der Musik.

Nachdem Rom ja für viele Geschichten gut ist: Francesco Borromini und Gian Lorenzo Bernini prägten das barocke Rom. Während Bernini, der Künstler, die überwiegende Gunst der Päpste und des Hochadels hatte und in eben jenen Kreisen verkehrte, war Borromini, der Architekt, wohl angesehen innnerhalb seines Standes und doch fast immer im Schatten des einstigen Kollegen und späteren Rivalen Berninis. Borromini nahm etliche, nennen wir sie im Vergleich zu Berninis Portfolio, kleinere und undankbarere Aufgaben an.
An Berninis architektonischem Werk in Rom kann man nicht vorbeigehen: der Petersplatz mit seinen Kolonnaden, die Scala Regia in den Vatikan führend, das Hochaltar-Ziborium im Petersdom selbst, der Vierströmebrunnen auf der Piazza Navona, der Tritonenbrunnen, der Bienenbrunnen, der Elefant auf der Piazza Minerva und so weiter.
Für Borrominis Werke muß man schon etwas genauer suchen: Das Oratorium des hl. Philipp Neri, die Kirche Sant’Ivo alla Sapienza, der perspektivische Gang im Palazzo Spada und der Bronzebaldachin im Petersdom. Letzteres ist umstritten, nämlich ob es sich um ein Werk Berninis, Borrominis oder gar um eine Kooperation handelt. Im Palazzo Barberini kann man die architektonischen Qualitäten der beiden Herren sogar direkt miteinander messen: ein Treppenhaus wurde von Bernini, ein Treppenhaus von Borromini gestaltet.
Bernini starb 82-jährig in Rom, Borromini setzte seinem Leben 68-jährig selbst ein Ende. Aufgrund seines unchristlichen Abschieds von dieser Welt wurde ihm, so vermutet man, die Beisetzung in „seiner“ Kiche San Carlo alle Quattro Fontane verwehrt und man findet sein Grab im Grab seines Neffen Carlo Maderno in der Kirche San Giovanni dei Fiorentini.

Rom 2025 - Vierströmebrunnen auf der Piazza Navona
Rom 2025 – Vierströmebrunnen auf der Piazza Navona

Danach spazierte ich am eben erwähnten Palazzo Barberini vorbei wo eine Ausstellung über Caravaggio zu sehen gewesen wäre. Dazu kam es dann leider nicht aber mehr dazu später. Meine nächsten Ziele lagen nämlich auf der Piazza Navona: nochmals die Kirche Sant’Agnese in Agone. Ich habe in einem Beitrag zu der Romreise 2023 mit meiner mir Liebsten bereits die Geschichte der Heiligen Agnes erzählt und war versucht, durch das stupide Kopieren des bereits verfassten Textes diesen Beitrag hier unnötig in die Länge zu ziehen. Ich habe mich dagegen entschieden, ziehe diesen Beitrag durch den Einschub, den Sie gerade lesen, dennoch unnötig in die Länge un begnüge mich des Weiteren damit auf Rom 2023 – Tag 1 zu verweisen.

Rom 2025 - Sant’Agnese in Agone
Rom 2025 – Sant’Agnese in Agone

Das Innere ist phantastische Architektur aber dieses Mal nahm ich mir auch mehr Zeit für die plastischen Bildnisse in den Seitenaltären. Die Christenheit ist ja irgendwie versessen auf Reliquien. Eine Reliquie ist ein irdischer Überrest der Körper oder Körperteile von Heiligen. Die Reliquie der Heiligen Agnes ist hier im Form ihres Schädels, der in der Seitenkapelle welche dem heiligen Philipp Neri gewidmet ist, zu finden. Ob dieser nun tatsächlich echt ist oder nicht vermag ich nicht zu beurteilen, die Informationen sind widersprüchlich.

Irgendwie – und um ehrlich zu sein habe ich das erst durch Recherchen für dieses Getippse realisiert – hätte das auch ein Themenrundgang sein können, denn auf unbeabsichtigte Weise schließt sich der Kreis zu Francesco Borromini sowie Gian Lorenzo Bernini und die Geschichte dieses Bauwerks zeigt auch ein wenig die Situation Borrominis in der römischen Welt des Barock: 1652 wurde ein Neubau der Kirche nach einem Entwurf des Hausarchitekten der einflußreichen Familie Pamphilj, Girolamo Rainaldi, begonnen. Einer der Pamphiljs stritt aus mir nicht bekannten Gründen mit niemand geringerem als dem damaligen Papst Innozenz X. Die Mama kam ins Spiel, was in Italien, man möge mir die Plattitüde verzeihen, anscheinend seit jeher Gang und Gäbe ist, und die wollte den Auftrag, von dem Rainaldi entbunden wurde, Bernini zuschanzen. Ich müsste nachschlagen ob Papst Innozenz X bereits per Definition unfehlbar war, aber egal ob oder ob nicht: Er entschied sich für Borromini und 1653 wurde bereits munter weitergebaut. Borromini war nicht zimperlich und änderte wunschgemäß die Freitreppe. Dafür musste die Fassade zurückweichen und die nach hinten versetzte Fassade machte es wiederum erforderlich die bereits vorhandene Kuppel abzutragen neu zu errichten. Auch die beiden Glockentürme gehen auf Borromini zurück. Mit dem Dahinscheiden von Papst Innozent dem Zehnten endete nicht nur das Leben des Papstes sondern auch die Zusammenarbeit mit Borromini.

Rom 2025 - Sant’Agnese in Agone
Rom 2025 – Sant’Agnese in Agone

Auf Wikipedia steht (derzeit) zu lesen: „Meinungsverschiedenheiten zwischen Architekt und Auftraggeber über den Fortgang der Arbeiten führten aber bald dazu, dass Borromini die Arbeiten verzögerte. Am 2. Juli 1657 wurde er der Bauleitung enthoben.“
Mein kleines Bauingenieursherz schlägt höher und mein kleines Bauingenieurshirn übersetzt den Satz wie folgt in die Neuzeit: „Unlösbare Forderungen und unrealistische Terminvorgaben des Auftraggebers führten aber bald dazu, dass Borromini die E-Mails ungelesen löschte, das Telefon nicht mehr abhob, WhatsApp deinstallierte und somit die Arbeiten verzögerte. Am 2. Juli 1657 wurde er endlich der Bauleitung enthoben.“ Carlo Rainaldi übernahm die Bauleitung und brachte die wechselvolle Baugeschichte zu einem vorläufigen Abschluß. Ein – ich weiß nicht ob ausschlaggebend oder posthum: 1667, dem Todesjahr von Borromini, nahm Bernini entscheidende Veränderungen an Borrominis Fassadenentwurf vor. Es würde mich nicht wundern, aber ich weiß es nicht und wer weiß so etwas schlußendlich schon…

Nach diesem Exkurs komme ich zurück auf den römischen Boden der Tatsachen: Die Krypta. Vor der Piazza Navona, wie wir sie heute kennen, war dieser Platz eine antike Sportstätte, das Domitian-Stadion. Die Krypta unter Sant’Agnese in Agone wurde aus den Säulen und Bögen des Domitian-Stadions herausgearbeitet und viele Gebäude basieren in Teilen auf den alten Gemäuern und die Form des antiken Stadions ist bis heute gut ablesbar. Am Ort des Martyriums der Heiligen Agnes ist eine kleine Andachtsstätte errichtet worden und die restaurierten Wände und Decken mit Fresken geschmückt.

Um das Stadion des Domitian thematisch abzuschließen besuchte ich noch die Area Archeologica Stadio di Domiziano. Unterhab eines Teils der Piazza sind noch Mauerreste zu sehen, Torbögen, welche die ehemaligen Ein- oder Durchgänge waren und Treppen, die inzwischen ins Nichts führen.

Rom 2025 - Area Archeologica Stadio di Domiziano
Rom 2025 – Area Archeologica Stadio di Domiziano

Leider hatten sich irgendwann zwischen San Carlo alle Quattro Fontane und Sant’Agnese in Agone meine halbjährlichen Kopfschmerzen eingestellt, die es mir unmöglich gemacht haben Rom weiter zu huldigen. So mußte ich den Palazzo Barberini mit den Gemälden des großen Caravaggios leider ausfallen lassen und schlurfte als Sant’Jürgen in Agone zurück zum Hotel um hoffentlich für den morgigen 30. Rom Marathon fit zu werden.

Rom 2025 - Area Archeologica Stadio di Domiziano
Rom 2025 – Area Archeologica Stadio di Domiziano